Ist Inflation überhaupt noch ein ernsthaftes Risiko?
In den vergangenen Jahren haben die Coronapandemie, die geopolitischen Spannungen und die Energiekrise die Weltwirtschaft auf den Kopf gestellt. Diese Ereignisse waren von historischer Tragweite. Die USA reagierten darauf mit einer massiven Erhöhung der Staatsausgaben. Ziel war es, die Einkommen der privaten Haushalte zu stützen und eine Investitionsoffensive zu finanzieren, die die Energiewende und eine geringere Abhängigkeit von China vorantreiben sollte. Diese Staatsausgaben stiegen von etwa 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf nahezu 40 Prozent.
Die drastisch gestiegenen Staatsausgaben führten zu einer erheblichen Geldflut auf die Konten von Unternehmen und privaten Haushalten bei den Banken – und damit zu einem starken Geldmengenwachstum. Im Januar 2021 erreichte die Wachstumsrate der Geldmenge M2 mit 25,6 Prozent einen historischen Höchststand. Zuvor lag der Rekord bei 13,8 Prozent im Februar 1976. In den 1970er-Jahren sorgten zweistellige Wachstumsraten der Geldmenge für zweistellige Inflationsraten. Unternehmen können nämlich nur dann ihre Preise erhöhen, wenn die Konsumenten diese höheren Preise auch zahlen können.
Gleichzeitig gerieten die Lieferketten unter Druck. Der „Global Supply Chain Pressure Index“ der Federal Reserve of New York erreichte im Dezember 2021 mit einem Wert von mehr als vier Standardabweichungen einen absoluten Rekord. Eine solche Einschränkung der Lieferketten kann nur als ein Extremereignis bezeichnet werden.
Angesichts dieser außergewöhnlichen Kombination aus starker Nachfrage und eingeschränktem Angebot ist es bemerkenswert, dass die Inflation nur bis auf 9,1 Prozent im Juni 2022 stieg. Ein Blick in die Historie zeigt, dass bei einem niedrigen Geldmengenwachstum oft kein enger Zusammenhang zwischen Geldmengenwachstum und Inflation besteht. Bei einem hohen Geldmengenwachstum ist jedoch nahezu eine Eins-zu-Eins-Beziehung beobachtbar. In der Türkei verzeichnete beispielsweise die Geldmenge M1 eine Wachstumsrate von 53,5 Prozent im Jahr 2023, während die Inflation bei 53,4 Prozent lag. Gegeben dem hohen Geldmengenwachstum und den Angebotseinschränkungen 2021 und 2022, wäre eine Inflationsrate in den USA von über 20 Prozent vor diesem Hintergrund nicht überraschend gewesen. Erstaunlich ist auch, wie schnell die Inflation wieder sank, während das Wirtschaftswachstum stabil blieb. Für Juli 2024 wird laut Bloomberg eine Inflationsrate (Mittwoch) von nur 3,1 Prozent erwartet.
Es stellt sich die Frage: Wenn selbst eine massive Geldmengenexpansion und eine historische Lieferkettenkrise keine dauerhaft hohe Inflation verursachen konnte, was dann?
Ein wichtiger Faktor war, dass Waren nur 40 Prozent des Konsumentenpreisindex ausmachen. Die stabilere Entwicklung der Dienstleistungspreise hat die Inflation gedämpft. In den 1970er-Jahren machten Waren noch 60 Prozent des Konsumentenpreisindex aus.
Zudem hilft die Globalisierung: Trotz der Lieferkettenprobleme konnten die USA in erheblichem Umfang importieren. Auch die Folgen der Wirtschaftskrise und Deflation in China sollten nicht unterschätzt werden. Ein boomender Konsum in China hätte die Inflation in den USA deutlich stärker ansteigen lassen. Mit der Entspannung der Lieferketten stabilisierten sich die Güterpreise ab 2023 wieder. Zudem trugen die Zinserhöhungen der Zentralbanken dazu bei, das Geldmengenwachstum durch gedämpfte private Kreditvergabe zu reduzieren.
Diese erstaunlich gedämpfte Inflationsentwicklung selbst in der größten vorstellbaren Krise zeigt, dass es offensichtlich in einer immer noch stark globalisierten Welt für Unternehmen sehr schwer ist, die Preise stetig in großen Sprüngen anzuheben. Es ist somit unwahrscheinlich, dass ein gefährlicher Inflationsprozess in Gang kommt. Hinzu kommt der rapide technologische Wandel. Künstliche Intelligenz wird erhebliche Auswirkungen auf die Produktivität in den kommenden Jahren haben. Solange es also nicht zu einer echten Deglobalisierung kommt, sind die Risiken einer strukturell hohen Inflation begrenzt. Als eine strukturell hohe Inflation können Inflationsraten von über 5,0 Prozent bezeichnet werden.
Natürlich wird die Inflation in Zukunft weiterhin zyklisch schwanken. Auch dürfte die Inflation aufgrund der hohen Verschuldung im Durchschnitt eher bei 3,0 Prozent als bei 2,0 Prozent liegen. Damit kann aber die Weltwirtschaft gut leben. Die Risiken einer gefährlich hohen Inflation sind dagegen, wie beschrieben, eher niedrig.
USA: Wirtschaftliche Schwächen
Der Anfang August veröffentlichte Arbeitsmarktbericht zeigt eine deutliche Abkühlung der US-Konjunktur. Diese Entwicklung ist jedoch nicht überraschend, da schon die Daten im Juni und Juli enttäuschten, wie ein Blick auf die „Citigroup Surprise Indizes“ vom Juli zeigt.
Die US-Wirtschaft befindet sich also seit zwei Monaten in einer Phase der konjunkturellen Abkühlung, mit einer rückläufigen Inflationsdynamik. Auch die kommenden Daten werden diese Entwicklung wohl bestätigen. Besonders im Fokus stehen dabei die Einzelhandelsumsätze, die am Donnerstag veröffentlicht werden und wichtige Hinweise auf die Konsumdynamik geben. Zusätzlich werden am Dienstag der NFIB-Index, am Donnerstag der Philadelphia Fed Index sowie die Industrieproduktion bekanntgegeben.
Aufgrund der zunehmenden Abschwächung haben wir unsere Prognose angepasst und erwarten nun Zinssenkungen der US-Notenbank von jeweils 50 Basispunkten im September und November sowie einen weiteren Zinsschritt von 25 Basispunkten im Dezember. Insbesondere die Schwäche am Wohnimmobilienmarkt, erkennbar an den Zahlen zu Neubaugenehmigungen und Neubaubeginnen, die ebenfalls am Freitag veröffentlicht werden, unterstreicht die Notwendigkeit schneller und deutlicher Zinssenkungen.
Leider sind diese Zinserwartungen bereits in den Finanzmärkten eingepreist, sodass wir derzeit keine signifikant abweichende Zinsmeinung von den Marktpreisen haben.
Eurozone: Konjunkturaufschwung wieder fraglich
Bis Mai zeigte sich eine stetige Verbesserung der Konjunkturdaten. Die vom ZEW befragten Volkswirte leiteten daraus ab, dass sich die europäische Konjunktur sogar bis Jahresende weiter beschleunigen kann. Vor allem die Normalisierung der Energiepreise, die steigenden Reallöhne sowie eine stetige Verbesserung des Konsumentenvertrauens weckten Hoffnungen auf eine Belebung des Konsums. Der ZEW-Index (Dienstag) stieg somit merklich. Seit Juni hat sich jedoch das Bild eingetrübt. Die Konjunkturdaten haben sich merklich verschlechtert. Diese Eintrübung war überraschend und könnte zu einem deutlichen Rückgang des ZEW-Index beitragen.
Gleichzeitig zeigt sich die Inflation hartnäckig. In der Dreimonatsdynamik verzeichnete die Kerninflation sogar einen Anstieg von über 5,0 Prozent im Juli. Der Grund dafür ist eine nach wie vor hohe Inflationsdynamik im Dienstleistungssektor und eine leichte Belebung der Güterpreise. Die anhaltend hohe Lohndynamik ist maßgeblich verantwortlich dafür. So zeigen die Lohnabschlüsse für dieses Jahr noch hohe Zuwachsraten – sozusagen als Inflationsausgleich – aber für nächstes Jahr kaum noch eine Steigerung. Die erwartete Verlangsamung der Inflation im Dienstleistungssektor dürfte also noch etwas auf sich warten lassen, aber dafür auch recht merklich ausfallen.
Vor dem Hintergrund der zuletzt schwachen Konjunkturdaten dürfte die EZB trotz der aktuell noch hohen Inflationsdynamik im September den Leitzins senken.
BIP in Japan und Konsum in China
In Japan wird mit einer merklichen Verbesserung der Wachstumsdynamik (Donnerstag) gerechnet. Vor allem die negativen Effekte des großen Erdbebens im ersten Quartal werden als Belastungsfaktor wegfallen.
In China wird sich der Fokus auf die Einzelhandelsumsätze (Donnerstag) richten. Die etwas höhere Inflations- und Importdynamik sprechen für eine leichte Belebung des chinesischen Konsums.
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