USA: Rezession oder nicht? Und was kommt danach?
In vielen Teilen der Welt schwächelt die Konjunktur und die geopolitischen Risiken nehmen zu. Dagegen erscheint die US-Wirtschaft noch immer robust: Der US-Arbeitsmarkt zeigt sich stabil und die Wirtschaftsdaten jenseits des Atlantiks fielen zuletzt überwiegend positiv aus. Viele Marktteilnehmer erwarten daher, dass eine Rezession in den USA vermieden werden kann – trotz der in den vergangenen Monaten stark gestiegenen Zinsen. Ist eine US-Rezession damit tatsächlich vom Tisch – und falls ja: Was kommt eigentlich danach?
Die globale Konjunktur erscheint derzeit äußerst fragil – nicht nur, weil die geopolitischen Risiken zunehmen, sondern auch, weil die Wirtschaftsdaten vielerorts zuletzt enttäuschend ausfielen: In China blieb der erwartete Post-Corona-Boom aus, die Jugendarbeitslosigkeit kletterte in diesem Jahr auf ein Rekordhoch und die Immobilienbranche bleibt angeschlagen. In Europa sieht die Lage nicht viel besser aus. Die Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe sowie Dienstleistungen liegen deutlich unter der wichtigen Marke von 50 Punkten. Dabei geht es nicht nur um das kriselnde Deutschland. Vielmehr machen sich die starken Zinsanhebungen der Europäischen Zentralbank sowie die schwache Nachfrage aus dem Ausland in nahezu allen Volkswirtschaften der Europäischen Union bemerkbar. Auch für die USA wurde seit mehreren Monaten eine schlechte wirtschaftliche Entwicklung vorhergesagt, die bislang allerdings ausblieb. Der Arbeitsmarkt zeigt sich trotz einer zuletzt leichten Abkühlung robust und die Federal Reserve Bank of Atlanta prognostiziert ein stattliches, annualisiertes Wachstum für das dritte Quartal in Höhe von 5,4 %. Angesichts der positiven Entwicklung haben Ökonomen ihre Rezessionserwartungen für die USA zuletzt mehrheitlich in das Jahr 2024 verschoben (siehe Abb. 1).
Ist eine Rezession der US-Wirtschaft vom Tisch?
Zudem scheint sich unter Beobachtern mittlerweile die Erwartung durchzusetzen, dass wir auf eine „weiche Landung“ der US-Wirtschaft zusteuern – also auf eine Abkühlung der Nachfrage mit nur geringen Folgen für die Realwirtschaft. Einer Umfrage der National Association for Business Economics zufolge gingen im August nur noch etwa 30 % der befragten Ökonomen von einer schweren Rezession aus – 70 % erwarten hingegen nun, dass die Zinserhöhungen der Federal Reserve (Fed) weitgehend folgenlos bleiben. Ist eine baldige Rezession in den Vereinigten Staaten damit vom Tisch?
Ein Blick in die Vergangenheit liefert Hinweise: Der historisch zuverlässigste Frühindikator für US-Rezessionen ist die Steilheit der Zinsstrukturkurve. Diese beschreibt die Differenz der Renditen von Anleihen mit einer langen und kurzen Laufzeit. Liegt sie im negativen Bereich, so gilt dies als Rezessionssignal. Genau dort befindet sich die Zinsstrukturkurve seit Juli 2022. In den vergangenen 50 Jahren gab es keinen Fall, in dem auf eine Inversion keine Rezession folgte (siehe Abb. 2).
Insbesondere die Leitzinsanhebungen der Fed drohen über kurz oder lang zu einer erheblichen Belastung für die US-Wirtschaft zu werden. Mit einem Anstieg von 5,25 Prozentpunkten innerhalb von nur etwa 17 Monaten haben die Zinsen so stark zugelegt wie seit über 40 Jahren nicht mehr. Die dadurch drastisch erhöhten Finanzierungskosten dürften sich – wenngleich etwas verspätet – in der Realwirtschaft bemerkbar machen und für eine Abkühlung im Jahr 2024 sorgen. Historisch betrachtet gelang es den US-Zentralbankern selten, nach einem Zinserhöhungszyklus eine Rezession zu umgehen (siehe Abb. 3).
Doch trotz der Signale und Erfahrungen aus der Historie werden aktuell von Konjunkturoptimisten zwei wesentliche Faktoren hervorgehoben, die gegen eine baldige Rezession sprechen sollen: Der zuletzt starke Arbeitsmarkt sowie das robuste Wirtschaftswachstum.
Arbeitsmarkt: Der US-Arbeitsmarkt zeigte sich in den vergangenen Monaten sehr stabil. So wurden im September ersten Schätzungen zufolge 336.000 neue Stellen geschaffen. Dabei werden lediglich ca. 70.000 bis 100.000 neue Stellen pro Monat benötigt, um die US-Bevölkerung mit Jobs zu versorgen. Damit liegt der Bedarf an Arbeitskräften weiterhin deutlich über dem demografischen Angebot. Auch die Arbeitslosenquote von 3,8 % ist nach wie vor gering. Zusammengenommen deuten die Entwicklungen am Arbeitsmarkt also nicht unbedingt auf ein rezessives Umfeld hin. Doch an dieser Stelle ist Vorsicht geboten: Vor einer Rezession sind geringe Arbeitslosenquoten sowie ein Anstieg der Beschäftigung keineswegs unüblich. Nicht selten folgte gerade auf Phasen der Vollbeschäftigung eine Rezession (siehe Abb. 4).
Wirtschaftswachstum: Mit annualisierten Quartalswachstumsraten von 2,2 % und 2,1 % überraschte die US-Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte durchweg positiv. Auch das dritte Quartal dürfte stark ausfallen angesichts bisher verfügbarer Datenveröffentlichungen. Doch hohe Wachstumsraten vor einer Rezession sind ebenfalls keine Seltenheit (siehe Abb. 5).
Im Vorfeld der vergangenen zwölf US-Rezessionen seit 1948 waren die Wachstumsraten vergleichbar mit den aktuellen Expansionsraten. So lag das durchschnittliche Wachstum des Bruttoinlandsproduktes im Betrachtungszeitraum kurz vor Eintritt der Rezession bei knapp 2,4 % gegenüber dem Vorquartal. Ein ähnliches Niveau ist aktuell zu beobachten. Historisch gesehen spricht ein robustes Wirtschaftswachstum also ebenfalls nicht zwangsläufig dafür, dass eine Rezession umgangen werden kann.
Kurzum: Auch wenn die aktuellen Konjunkturdaten positiv überraschen, ist es noch zu früh, um Entwarnung zu geben – so zumindest nach den Erfahrungen aus der Historie. Hinzu kommt, dass der Weg in eine Rezession oftmals nicht linear verläuft, sondern eher abrupt. Dabei können sich negative Entwicklungen gegenseitig verstärken.
Die eigentlich interessante Frage: Was kommt danach?
Aktuell scheinen einige Börsenanleger durch die Phase wirtschaftlicher Unsicherheit „hindurchzusehen“ und auf eine Konjunkturerholung im Anschluss zu setzen. Doch bleibt die Frage, wie sich etwas erholen kann, das zuvor nicht eingebrochen ist. In diesem Fall scheint das Aufwärtspotenzial für die Konjunktur eher begrenzt, da kaum Auf- und Nachholeffekte zu erwarten sind. Das dürfte dann ebenso für den Aktienmarkt gelten.
Abbildung 6 belegt, dass in der Vergangenheit die Kurszuwächse am Aktienmarkt umso höher ausfielen, je heftiger die Rezession im Vorfeld wütete. Bildete eine hohe Arbeitslosigkeit den Ausgangspunkt für eine Konjunkturerholung, fielen die Börsengewinne im Anschluss an die Rezession überdurchschnittlich hoch aus. Bezogen auf die heutige Situation gilt: Sollte die niedrige Arbeitslosigkeit Bestand haben und eine Rezession ausbleiben, sind keine überdurchschnittlichen Kursgewinne an der Börse zu erwarten.
Ein weiterer Fallstrick besteht in der Fiskalpolitik. Während der Pandemie stiegen die Staatsausgaben der USA stark an. Grund dafür waren groß angelegte Corona-Hilfsprogramme. Nach einer Phase der Konsolidierung nahmen die öffentlichen Defizite in diesem Jahr wieder zu, wodurch der Fiskalimpuls positiv wurde (siehe Abb. 7). Die expansive Ausrichtung im Staatshaushalt hat folglich zum robusten Wirtschaftswachstum der vergangenen Quartale beigetragen.
Das dürfte sich jedoch künftig wieder ändern: Mit der jüngsten Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch die Ratingagentur Fitch und den stark gestiegenen Fremdkapitalzinsen wächst der Druck auf die US-Regierung, eine verantwortungsvolle Fiskalpolitik zu betreiben und Haushaltsdefizite wieder einzugrenzen. Der Rückenwind durch die Fiskalpolitik könnte folglich bald in Gegenwind umschlagen.
Fazit
Eine Rezession in den USA ist in unseren Augen keineswegs vom Tisch. Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so erscheinen mag, existieren Rezessionssignale, welche ernst genommen werden sollten. Aber selbst, wenn den US-Notenbankern eine weiche Landung der Wirtschaft gelingen sollte, stellt sich weiterhin die Frage, woher ein Wirtschaftsaufschwung kommen soll – und vor allem, wie stark dieser ausfallen kann, wenn kaum mit Auf- und Nachholeffekten zu rechnen ist.
Wir bleiben in den von uns verwalteten Aktienportfolios weiterhin defensiv aufgestellt. In einem von erhöhter Unsicherheit geprägten Umfeld bevorzugen wir Unternehmen mit einer soliden Bilanz und starker Marktposition. Bei Anleihen halten wir die Duration tendenziell kurz aufgrund der inversen Zinsstrukturkurve.