US-Börsen taumeln – Fiskalwende in Deutschland
Viele Anleger schauen dieser Tage ungläubig auf die Kursstände an den Börsen, verlief der Jahresstart doch ganz anders als allgemein erwartet. Nachdem der Sieg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen im vergangenen November zunächst mit neuen Höchstständen am dortigen Aktienmarkt gefeiert wurde, macht sich mittlerweile Ernüchterung breit. Die Hoffnung auf eine wirtschaftsfreundliche Politik, geprägt von Steuersenkungen und Deregulierung, hat sich bislang nicht erfüllt. Nur zwei Monate nach Trumps Amtsantritt verzeichnen die US-Börsen Verluste, während der fast schon abgeschriebene europäische Aktienmarkt im Plus liegt. Diese Entwicklung entspricht nicht dem gewohnten Muster der vergangenen Jahre und hat somit einige Investoren auf dem falschen Fuß erwischt.
Trump legt los – nur leider anders, als erhofft
Zu Beginn des Jahres haben wir darauf aufmerksam gemacht, dass Zeitpunkt, Abfolge und Ausmaß von Trumps politischen Vorhaben entscheidend sein werden für die Marktentwicklung in diesem Jahr (siehe Ausblick 2025). Sein Wahlprogramm glich nämlich einem zweischneidigen Schwert aus wirtschaftsfreundlichen Vorhaben einerseits und protektionistischen Elementen andererseits. Mittlerweile ist klar: Zu Beginn von Trumps zweiter Amtszeit stehen Zölle im Mittelpunkt der politischen Agenda. Die US-Regierung hat in nur wenigen Wochen an vielen Fronten gleichzeitig Handelskonflikte eröffnet und somit in kurzer Zeit weltweit viel Porzellan zerschlagen. Dabei sorgen die USA nicht nur unter ihren Handelspartnern für Verunsicherung, sondern auch und gerade im eigenen Land. Sowohl das Vertrauen der US-Verbraucher als auch das der Unternehmen wurde stark beschädigt. Die zunehmende Unsicherheit kann in Zukunft zu Zurückhaltung bei Konsum und Investitionen führen und damit letztendlich das Wirtschaftswachstum belasten. Wir haben unsere Prognose für die USA daher angepasst und erwarten für dieses Jahr nur noch ein reales Wirtschaftswachstum von 1,6 statt bisher 2,1 %.
US-Inflationsrisiken zuletzt gestiegen
Darüber hinaus fürchten sich viele US-Verbraucher vor einem zunehmenden Kaufkraftverlust durch stark steigende Preise. Laut einer Umfrage der University of Michigan sind die mittelfristigen Inflationserwartungen zuletzt auf ein Niveau von knapp 4 % pro Jahr gestiegen – so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr (siehe Abb. 1). Wir gehen davon aus, dass die Teuerungsrate in den USA in diesem Jahr bei knapp 3 % liegen wird, was deutlich über dem Zielwert der US-Notenbank von 2 % liegt. Die Federal Reserve steht damit vor einem Problem: Sie kann unter den aktuellen Umständen kaum nennenswert die hohen Leitzinsen senken, um die US-Wirtschaft zu stützen. Vielmehr muss sie ihre restriktiv ausgerichtete Geldpolitik beibehalten, um die Inflation in den USA wieder in den Griff zu bekommen – zu Lasten des Wirtschaftswachstums.
Quellen: FactSet, Metzler; Stand: März 2025
* Umfrage der University of Michigan unter US-Konsumenten
Big-Tech-Aktien unter Druck
Trumps erratische Politik ist aber aktuell nicht der einzige Belastungsfaktor für den US-Aktienmarkt. Anfang des Jahres machte das chinesische Startup DeepSeek mit einer leistungsfähigen künstlichen Intelligenz (KI) auf sich aufmerksam, deren Entwicklungskosten scheinbar deutlich geringer waren als die der US-amerikanischen Konkurrenz. Seitdem wird die geltende Prämisse, dass bessere KI-Modelle stets mit einem höheren Rechenaufwand und steigenden Kosten einhergehen, in Frage gestellt – und damit auch die unantastbare Vormachtstellung der großen Technologieunternehmen aus den USA in diesem Bereich. Dies hat auch negative Auswirkungen auf die bedeutenden Leitindizes in den USA, da deren Kursperformance stark von der Wertentwicklung der großen Tech-Konzerne beeinflusst wird. Der Grund hierfür liegt in den hohen Börsenwerten dieser Unternehmen, die mittlerweile einen wesentlichen Anteil am US-Leitindex S&P 500 ausmachen.
Europäischer Aktienmarkt im Aufwind
Im Gegensatz dazu verzeichnet der europäische Aktienmarkt – angeführt vom deutschen Leitindex DAX – seit Jahresbeginn deutliche Kursgewinne. Die positive Entwicklung wurde zunächst durch die Erwartung einer moderaten Konjunkturbelebung sowie der vagen Hoffnung auf Frieden in der Ukraine getragen. Darüber hinaus rechneten Anleger in diesem Jahr mit weiter sinkenden Leitzinsen, da die Inflationsrisiken in der Eurozone mittlerweile kleiner geworden sind. Zuletzt hat ironischerweise Donald Trump mit seiner „America-First-Politik“ indirekt für zusätzlichen Auftrieb an den europäischen Börsen gesorgt. Denn Europas Antwort auf die zunehmenden Unsicherheiten in der internationalen Zusammenarbeit sind massive Investitionsprogramme in den Bereichen Verteidigung und Infrastruktur, die – sofern sie erfolgreich umgesetzt werden – echtes Potenzial bergen für einen spürbaren Wachstumsschub auf dem alten Kontinent.
Paradigmenwechsel in der deutschen Finanzpolitik
Angesichts der gewachsenen geopolitischen Herausforderungen und der bislang getrübten konjunkturellen Aussichten wurde insbesondere in Deutschland eine finanzpolitische Wende eingeleitet. Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD haben zusammen mit den Stimmen der Grünen in den vergangenen Tagen weitreichende Änderungen an der ansonsten recht strikten Schuldenbremse beschlossen. Zur Erinnerung: Die in der Verfassung verankerte Schuldenbremse erlaubt eine jährliche strukturelle Neuverschuldung bis zu einer Obergrenze von 0,35 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Von dieser Beschränkung des Bundeshaushalts soll es künftig Ausnahmen geben: Verteidigungsausgaben, die 1 % des BIP übersteigen, werden von der Schuldenbremse ausgenommen und können fortan unbeschränkt kreditfinanziert werden – wobei der Begriff Verteidigung recht weit ausgelegt wird. Zudem hat die zukünftige Koalition ein 500 Mrd. Euro umfassendes Sondervermögen zur Finanzierung von Infrastruktur- und Klimaschutzinvestitionen geschaffen (entspricht 11,6 % des BIP) und den Verschuldungsspielraum der Bundesländer ausgeweitet. Das gesamte Fiskalpaket dürfte ein historisches Ausmaß erreichen, vergleichbar etwa mit den Investitionsprogrammen zum Aufbau Ost nach der Wiedervereinigung.
Wachstumschancen in der kurzen und der langen Frist
Mit dem beschlossenen finanziellen Polster im Rücken hat die kommende Bundesregierung nicht nur die Möglichkeit, die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands zu stärken. Darüber hinaus sollten die Milliardenausgaben die seit Jahren stagnierende Wirtschaft beleben – allein schon aufgrund des außerordentlichen Umfangs. Wie schnell und wie nachhaltig das Wachstum gesteigert werden kann, hängt aber wesentlich von zwei Punkten ab. Einerseits müssen Verfahren in der öffentlichen Verwaltung beschleunigt und die Bürokratie reduziert werden. Zwischen der politischen Entscheidung in Berlin und der tatsächlichen Umsetzung vor Ort vergeht häufig immer noch zu viel Zeit. Das haben nicht nur verschiedene Großbauprojekte in den vergangenen Jahren gezeigt. So sind etwa beim Bundeswehrsondervermögen aus dem Jahr 2022 zwar mittlerweile alle Mittel verplant. Im ersten Jahr flossen bei aller Dringlichkeit jedoch noch keine wesentlichen Gelder ab.
Andererseits sollten die Schulden gezielt eingesetzt werden, um das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft nachhaltig zu steigern. Die regelmäßigen Schätzungen des Sachverständigenrates Wirtschaft zeigen, dass das Potenzialwachstum bereits seit Jahrzehnten sinkt. Das heißt, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands trübt sich seit geraumer Zeit ein (siehe Abb. 2). Zuletzt rechneten Experten nur noch mit einer jährlichen Wachstumsrate von 0,3 % bis Ende dieses Jahrzehnts. Der zentrale Belastungsfaktor dabei ist der demografische Wandel und das dadurch sinkende Arbeitskräftepotenzial. Darüber hinaus wirken sich geringe Produktivitätsfortschritte und fehlende Investitionen nachteilig aus. Um diesen Abwärtstrend zu brechen, bedarf es aber nicht nur einer Modernisierung der in Teilen maroden Infrastruktur. Begleitende strukturelle Reformen – etwa eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes – werden nötig sein, um die Wirtschaft bei dem bevorstehenden Strukturwandel zu unterstützen und die private Nachfrage dauerhaft zu stärken.
Quellen: Sachverständigenrat Wirtschaft, Metzler; Stand: 13. November 2024
* Das Potenzialwachstum einer Volkswirtschaft ergibt sich aus der mengenmäßigen Veränderung des gesamtwirtschaftlichen Arbeits- (wie viele Beschäftigte gibt es und wie viele Stunden arbeiten sie) und Kapitaleinsatzes (wie viele Maschine, Gebäude usw. gibt es und welchen Beitrag leisten sie zur Produktion) sowie der Effizienz der Nutzung dieser beiden Faktoren (etwa aufgrund des technischen Fortschritts). Da diese Größen gesamtwirtschaftlich nur schwer zu messen sind, wird das Potenzialwachstum mit statistischen Verfahren geschätzt
Unabhängig davon sollte kurzfristig die positive Signalwirkung nicht unterschätzt werden, die von den geplanten Maßnahmen ausgeht: So hat sich die Zuversicht der Wirtschaftsakteure einzelnen Stimmungsindikatoren zufolge bereits verbessert. In den kommenden Monaten dürfte sich auch die hohe wirtschaftspolitische Unsicherheit verringern – zumindest im Hinblick auf die heimische Politik. Dies sehen wir unverändert als große Chance für einen positiven Wachstumsimpuls hierzulande. Dementsprechend heben wir unsere Wachstumsprognose für Deutschland für dieses Jahr von 0,2 auf 0,6 % an und für nächstes Jahr von 1,0 % auf 1,7 %.
Staatsverschuldung steigt – in verkraftbarem Ausmaß
Die finanzpolitische Wende der nächsten Bundesregierung wird aber auch die Verbindlichkeiten des deutschen Staates spürbar erhöhen. Sollte etwa das Wirtschaftswachstum in Zukunft weiterhin gering ausfallen, so könnte die Schuldenquote Deutschlands bis 2036 rechnerisch auf über 80 % des BIP steigen (siehe Abb. 3). Damit läge sie wieder auf einem vergleichbaren Niveau zur Post-Finanzkrisen-Ära – aber immer noch deutlich niedriger als in anderen Industrienationen, wie in den USA (122 %), Frankreich (112 %) oder Italien (136 %). Aufgrund der bislang noch fehlenden Details zur Mittelverwendung des Infrastrukturpakets sowie zum tatsächlichen Ausmaß der Verteidigungsausgaben, ist eine Prognose über einen so langen Zeitraum aber recht unsicher. Sollte sich das Wachstum – wie von uns erwartet – durch den Politikwechsel nachhaltig beschleunigen, würde die Schuldenquote weniger stark steigen.
Quellen: Deutsche Bundesbank, Sachverständigenrat Wirtschaft, Metzler; Stand: 31. Dezember 2023 (Schuldenstand), 31. Dezember 2024 (BIP)
* Annahmen im Szenario „Geringes Wachstum“: Nominales Wirtschaftswachstum von 2,5 % p. a. (reales Wachstum 0,5 % + 2 % Inflation), Anstieg der gesamten Verteidigungsausgaben auf 3 % p. a., gleichmäßige Verausgabung des Sondervermögens über zwölf Jahre; im Szenario „Geringes Wachstum, mehr Verteidigung” steigen die Verteidigungsausgaben auf 4 % p. a.; im Szenario „höheres Wachstum“ steigt das reale Wachstum ggü. Vj. zunächst auf bis zu 1,7 % und stabilisiert sich dann bei 1 % (Verteidigungsausgaben steigen auf 3 %)
Eine Schuldenexplosion ist durch das Fiskalpaket hingegen nicht zu erwarten. Die Begrenzung der Neukreditaufnahme durch die Schuldenbremse für den Kernhaushalt bleibt nämlich bestehen und aus diesem müssen letztendlich die Zinszahlungen für die zusätzlichen Verteidigungsausgaben oder eine zukünftige Tilgung des Sondervermögens finanziert werden. Dieser Mechanismus begrenzt die Haushaltsspielräume in der Zukunft, um die langfristige Tragfähigkeit der Staatsfinanzen sicherzustellen – wenn auch auf einem höheren Schuldenniveau. Dementsprechend zwingt die Schuldenbremse auch zukünftig die Politik über kurz oder lang dazu, notwendige Kürzungen an anderen Stellen im Bundeshaushalt vorzunehmen.
Fazit
Europäische Aktien haben aktuell Aufwind und verzeichnen seit Jahresbeginn deutliche Kurszuwächse. Die unmittelbar positiven Reaktionen der Marktteilnehmer und Ratingagenturen auf das Maßnahmenpaket sind zumindest ein ermutigendes Zeichen dafür, dass die Fiskalwende in Deutschland ein Erfolg werden kann. Dieser Prozess dürfte aber nach wie vor mit (politischen) Hürden verbunden sein und daher auch ein gewisses Enttäuschungspotenzial bergen. In Summe haben sich jedoch die Rahmenbedingungen für europäische Aktien spürbar verbessert: Langfristig angelegte fiskalische Unterstützung, sinkende Leitzinsen und moderate Bewertungsniveaus schaffen ein günstiges Umfeld für weitere Kurszuwächse – auch wenn handelspolitische Unsicherheiten sowie geopolitische Unwägbarkeiten immer wieder für erhöhte Volatilität an den hiesigen Börsen sorgen dürften.
Am US-Aktienmarkt dürfte das Thema künstliche Intelligenz langfristig ein wichtiger Treiber bleiben. Anleger sollten sich jedoch nicht blind darauf verlassen, dass die KI-Gewinner von heute auch die technologischen Branchenführer von morgen sein werden. Die Dynamik ist hoch, neue Mitspieler drängen in den Markt und etablierte müssen sich behaupten. Das bedeutet keinesfalls, dass Anleger Tech-Aktien den Rücken kehren sollten. Es ist jedoch ratsam, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Die sektorale wie auch regionale Diversifikation ist und bleibt ein wichtiges Fundament, um sich vor Klumpenrisiken zu schützen.