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29.1.2025

„Sich Zeit zu nehmen ist die Stärke Japans.“

Dieses Interview von Björn Eichstadt und Lilli Haberstroh ist am 7. Januar 2025 im Magazin „Japan Business in Germany (J-BIG)“ erschienen.

Gerhard Wiesheu, Vorstandssprecher des Bankhauses Metzler und eine zentrale Figur in der deutsch-japanischen Business-Community, teilt im Interview mit J-BIG die Hintergründe seiner langjährigen beruflichen und persönlichen Verbundenheit mit Japan. In seinen Rollen, unter anderem als Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Japanischen Wirtschaftskreises (DJW), Unterstützer des Nippon Connection Filmfestivals und regelmäßiger Begleiter von Kanzlerdelegationen, setzt sich Wiesheu intensiv für den Ausbau der deutsch-japanischen Wirtschafts- und Kulturbeziehungen ein. Im Interview sprach er mit uns über seine Anfänge in Japan, die Geschichte des Bankhauses mit Japan und Chancen und Herausforderungen, die sich aus den aktuellen geopolitischen und demografischen Entwicklungen ergeben.

Gerhard Wiesheu

J-BIG: Herr Wiesheu, Sie sind sehr aktiv in der deutsch-japanischen Szene: Als Vorstandsvorsitzender des Deutsch-Japanischen Wirtschaftskreis (DJW), beim Japanisch-Deutschen Zentrum Berlin (JDZB) und als Förderer des Nippon Connection Filmfestivals. Und Sie begleiten auch Kanzlerdelegationen nach Japan. Viele Mitglieder der deutsch-japanischen Business-Community kennen Ihr Gesicht und Ihren Namen. Aber wie sind Sie eigentlich zum Thema „Japan“ gekommen?  

Gerhard Wiesheu: Das Ganze hat sich über einen langen Zeitraum entwickelt, ohne Masterplan – es passierte einfach Schritt für Schritt. Ich bin 1962 geboren und kam in eine Zeit, in der Japan in Deutschland durch die aufkommende Autoindustrie richtig sichtbar wurde. In den 70er Jahren begann das, und in den 80ern wurde Japan wirtschaftlich immer präsenter und stärker. Diese Strahlkraft hat mich beeindruckt. Mit 18 Jahren lernte ich bei einem Sprachkurs in England meine spätere japanische Frau kennen, und 1981 besuchte ich sie das erste Mal in Japan.

So führte mich mein Weg immer wieder nach Japan. 1986 verbrachte ich ein halbes Jahr in einem Sprach- und Praktikumsprogramm der Carl Duisberg Gesellschaft dort. 1987 begann ich bei der Commerzbank eine Investmentbanking-Trainee-Ausbildung in New York, London und Tokyo. Der Kapitalmarkt faszinierte mich und ich habe den gigantischen Aufschwung damals miterlebt. 1991 ging ich schließlich nach Tokyo, gründete die Vermögensverwaltung der Commerzbank in Japan und leitete sie bis 1999.

Zu diesem Zeitpunkt war der Wirtschaftsboom schon vorbei. 1989 platzte die Bubble, und ab 1990 ging es abwärts. Für ausländische Vermögensverwalter war es dennoch eine gute Zeit, weil Japan 1990 die Finanzmärkte deregulierte. Da der japanische Aktien- und Rentenmarkt unter Druck stand, wurde verstärkt ins Ausland investiert, und hier konnten wir unsere Dienstleistungen anbieten.

J-BIG: Wie war Ihre genaue Rolle für die Commerzbank in Tokyo?

Gerhard Wiesheu: Es gab dort drei Einheiten: die Filiale der Bank, eine Securities-Einheit und die dritte, die ich gründete und leitete – die Commerz International Capital Management, die Vermögensverwaltungseinheit für institutionelle Kunden. Unsere Kunden waren Pensionsfonds, Versicherungen, Unternehmen und Unternehmensgründer, jedoch keine Privatleute. Es gab auch deutsche Investoren, die in Japan investierten, doch der Großteil waren Japaner, die damals aus Japan nach Europa investiert haben.

Zurück in Deutschland wechselte ich 2001 zu Metzler. Für Friedrich von Metzler war Japan hochinteressant, da er lange Börsenpräsident war und Japan gut kannte. Das war auch für meinen Wechsel ausschlaggebend. Wir beschlossen, in Japan eine Tochtergesellschaft zu gründen, fingen im April 2001 damit an und gründeten sie im Mai. Die Lizenzen folgten, und der erste Kunde war schnell gewonnen.

J-BIG: Damals haben Sie wahrscheinlich von einem acht Jahre lang aufgebauten Netzwerk profitiert?

Gerhard Wiesheu: Das Netzwerk war sogar schon länger existent. Ich war 1991 bis 1999 in Japan, aber ich habe 1988 schon die japanischen Offshore Funds in London betreut. Ich kannte die großen japanischen Investoren, Versicherer und Unternehmen.

Gerhard Wiesheu
Metzler hat Zugang zu den Hidden Champions des deutschen Mittelstands, den nicht-börsennotierten Unternehmen und Familienbetrieben – in diesem Netzwerk ist keine andere Institution so stark verankert wie wir.
Gerhard Wiesheu
Vorstandssprecher des Bankhauses Metzler

J-BIG: Dass Sie mit 18 Ihre spätere Frau kennengelernt haben, war Zufall. Was wurde dann Ihr primäres inhaltliches Interesse an Japan?

Gerhard Wiesheu: Das war die Wirtschaft. Nach dem Zweiten Weltkrieg musste sich Japan erst neu finden, bevor es zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung kam, der hier immer sichtbarer wurde – sei es durch Kommunikationstechnik, den Walkman oder japanische Autos und Technologiekonzerne wie Sony.

Ich wusste, dass Metzler in Japan erfolgreich sein könnte, weil die Bank eine jahrhundertelange Tradition und eine DNA aus Solidität, Verlässlichkeit und Vertrauen mitbringt. Bereits 1893 bereiste Moritz von Metzler auf Rat seines Vaters Japan, um den Markt kennenzulernen. Die Meiji-Restauration 1868 brachte erstmals umfassende Informationen über Japan nach Europa, und Metzler erstellte damals quasi eine frühe „Feasibility Study“, auf die wir 2001 mit der Gründung einer Tochtergesellschaft aufbauen konnten (lacht).

Unser Schritt nach Japan beruhte vor allem auf der Vermögensverwaltung, aber auch im M&A-Bereich passiert viel zwischen Japan und Deutschland. Metzler hat Zugang zu den Hidden Champions des deutschen Mittelstands, den nicht-börsennotierten Unternehmen und Familienbetrieben – in diesem Netzwerk ist keine andere Institution so stark verankert wie wir.

J-BIG: Das heißt, wenn man zum Beispiel Meldungen über die Übernahme eines deutschen Traditionsunternehmens durch ein japanisches Unternehmen liest, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Metzler involviert ist?

Gerhard Wiesheu: Wir werden fast immer gefragt, wenn es um Transaktionen geht, auch bei größeren Projekten. So haben wir Daikin, den Klimaanlagenhersteller mit 100.000 Mitarbeitern, beim Kauf eines Hydraulikunternehmens beraten und Daido Life bei ihrem Investment in die Nürnberger Versicherung unterstützt. Ebenso haben wir die Frauentag Gruppe in Österreich beim Verkauf einer Gesellschaft, die Vakuumfilter für Großkraftwerke herstellt, an Ibiden beraten. Branchenübergreifend sind wir in verschiedenen Finanztransaktionen aktiv.

Unser M&A-Team gehört zu den ältesten in Deutschland, mit Wurzeln in den 70er Jahren, als Friedrich und Christoph von Metzler nach ihrer Zeit in den USA das M&A-Geschäft aufbauten. Sie hatten die Vision, dass die Entflechtung der „Deutschland AG“ kommen würde, und legten früh den Grundstein für das, was heute unser starkes und professionelles Netzwerk ist.

J-BIG: Was ist die Rolle einer Bank wie Metzler, wenn eine japanische Firma zum Beispiel ein deutsches Unternehmen kauft? Können Sie das für Finanzamateure erklären?  

Gerhard Wiesheu: Wir sind wie ein Nakodo, der bei einer Hochzeit die Partner zusammenbringt – ein Matchmaker zwischen der deutschen und der japanischen Unternehmenslandschaft. Durch unsere intensiven Kontakte und den regelmäßigen Austausch kennen wir die Zukunftsstrategien auf beiden Seiten. Wenn eine Partei in ein bestimmtes Produkt investieren oder in einen Markt einsteigen möchte, können wir gezielt sagen: ‚A passt zu B‘ und die ersten Gespräche anstoßen.

Nach diesem ‚Matchmaking‘ folgt die technische Umsetzung: Unternehmensbewertung, Due Diligence und Vertragsprüfung. Ob Kauf oder Verkauf, wir gehen tief in die Details, bevor es zu einer endgültigen Entscheidung kommt. Oft unterstützen wir auch Unternehmen, die sich stärker auf ihr Kerngeschäft fokussieren und daher Tochtergesellschaften abgeben möchten.

J-BIG: Wie genau sieht das Geschäftsmodell von Metzler aus?

Gerhard Wiesheu: Im M&A-Geschäft erhalten wir eine Einmalgebühr, die sich am Transaktionswert orientiert. Der Unterschied bei Metzler ist jedoch, dass unsere Arbeit nach dem Abschluss weitergeht. Eine erfolgreiche Transaktion braucht eine sorgfältige Postintegration, bei der wir unterschiedliche Vorstellungen und Prozesse zusammenbringen.

Ich selbst nehme an diesen Meetings teil, und auch auf Vorstandsebene gibt es regelmäßige Abstimmungen. Wir koordinieren die Entscheidungsprozesse, unterstützen das operative Team und bringen spezielles Know-how mit, das uns von anderen Anbietern unterscheidet.

Gerhard Wiesheu

J-BIG: Welche Rolle hat das japanbezogene Geschäft bei Ihnen in Bezug auf das Gesamtgeschäft?

Gerhard Wiesheu: Das M&A-Geschäft ist unser Transaktionsbereich und entsprechend volatil: Mal gibt es große, mal mittlere Deals – eine verlässliche Pipeline ist daher entscheidend. Parallel dazu läuft unser Asset Management, das stabile Gebühren liefert, da wir Mandate von Versicherern und Pensionsfonds verwalten, etwa über unsere US-Tochter für das Immobiliengeschäft in Los Angeles und Seattle.

Die Ähnlichkeiten zwischen der deutschen und der japanischen Wirtschaftsstruktur, insbesondere im Maschinenbau, der Chemie und Automobilbranche, machen Japan zu einem strategisch wichtigen Markt für uns. Wenn es um Käufe oder Verkäufe in diesen Branchen geht, ist häufig ein japanisches Unternehmen involviert, und wir sind hier von Mittelstand bis DAX gut vernetzt. Unser Japangeschäft trägt somit erheblich zum Gesamtgeschäft bei, ebenso wie unser Immobiliengeschäft in den USA.

J-BIG: 2001 wurde die Japan-Niederlassung gegründet und die Japaner haben viel in Europa investiert. Wie hat sich das für Metzler und für Sie weiterentwickelt?

Gerhard Wiesheu: Die Bubble musste erst verarbeitet werden, was lange dauerte. Richtig Schwung kam dann wieder ab 2010, verstärkt durch die Diversifikation nach Fukushima, als Japan verstärkt auf internationale Lieferketten setzte. 2019 gab das Freihandelsabkommen EPA weiteren Antrieb.

Geopolitische Entwicklungen – wie die politischen Risiken in China und der Ukraine-Konflikt – haben den Fokus japanischer Unternehmen noch stärker auf Europa und die USA gelenkt. Viele dieser Unternehmen sind finanzstark und suchen nun gezielt nach attraktiven Auslandsmärkten, was die Dynamik nochmals befeuert hat.

J-BIG: Die mediale Aufmerksamkeit liegt ja eher auf den chinesischen Investoren und die japanischen Geschäfte laufen im Stillen ab. Aber Sie kriegen da sehr viel mit. Sie haben diese Dynamisierung durch die Weltlage schon beschrieben, aber es kommt in Japan noch ein weiterer Faktor hinzu: Das Thema der Demographie und des abgeschlossenen Inselmarkts. Wie ist ihr Gefühl, wo das gerade hingeht?

Gerhard Wiesheu: Die demografische Entwicklung ist ein entscheidender Faktor: Japan verliert jährlich 700.000 bis 800.000 Menschen, und der Höhepunkt der Bevölkerung lag bereits 2015 in der Vergangenheit. Für inlandsorientierte Unternehmen, die auf Konsumenten angewiesen sind, ist das eine enorme Herausforderung – ebenso für Finanzinstitute und Hersteller. Deshalb richtet sich der Fokus zunehmend auf Wachstumsmärkte außerhalb Japans.

J-BIG: In der Berichterstattung hat man teilweise den Eindruck, dass es ein Wandel wäre, dass Japan stärker wird. Aber Japan hat auch die letzten 20 Jahre mehr investiert als viele andere. Es ist nicht so, dass man von einem niedrigen Niveau kommt und nach oben geht, sondern man kommt von einem hohen Niveau und geht noch höher.

Gerhard Wiesheu: Japan hat keine Schuldenbremse und auch keine EZB, sondern eine eigene Zentralbank. Die Entscheidungen werden selbst getroffen, und die Auslandsverschuldung liegt bei unter 5 Prozent. Das gibt ihnen viel mehr Flexibilität und Autonomie als uns, da wir sowohl eine Schuldenbremse als auch die EU-Kriterien beachten müssen.

Zu den Potenzialen: Im B2C-Geschäft dominieren die amerikanischen und chinesischen Tech-Konzerne, was für Japan und uns wenig Raum lässt. Im B2B-Geschäft jedoch können beide Länder punkten. Japan hat starkes Manufacturing, und wir haben ein starkes verarbeitendes Gewerbe, etwa im Maschinenbau. Wenn Maschinen weltweit im Einsatz sind, entstehen riesige Datenmengen, die sich zu wertvollen Datenpools kombinieren lassen.

J-BIG: Wenn man sich jetzt mal so im Detail anschaut, wie so ein chinesisches Elektroauto aufgebaut ist, dann stellt man fest, dass die meisten Komponenten entweder deutsch oder japanisch sind. Das heißt auch die Hardware ist da immer noch sehr stark.

Gerhard Wiesheu: Bei den Halbleitern macht Toray die Nanofilme, die die Schaltkreise voneinander trennen. Oder die Windräder, die wir hier haben. Ohne Japaner dreht sich da nichts. Es gibt Zulieferer, die extrem stark sind – und wenn die nicht liefern, funktioniert die Maschine nicht.

J-BIG: Das ist also die geschäftliche Dimension Ihres Wirkens. Aber Sie sind auch sehr aktiv in ehrenamtlichen Funktionen in der japanisch-deutschen Community. Viele unserer Leser kennen Ihren Namen aus diesen Funktionen. Wie ist es dazu gekommen?

Gerhard Wiesheu: Die wirtschaftliche Komponente war immer eine treibende Kraft, denn unser Engagement muss mit dem Unternehmen im Einklang stehen. Japan und Metzler passen gut zusammen, weil beides Sinn ergibt und sich ergänzt. Hier zählen nicht nur die Geschichte, sondern auch unsere innere Einstellung. Heute spricht man viel über ESG, besonders über das „S“ – gesellschaftliches Engagement. Seit mehr als 350 Jahren setzen wir uns ein: Barbara von Metzler unterstützte die Renovierung des Städel-Museums in Frankfurt, und Metzler war Gründungsmitglied der Senckenbergstiftung. Wir waren seit Jahrhunderten immer dort, wo bürgerliches Engagement gefragt war, oft in einer Vorreiterrolle.

Natürlich müssen wir im Japangeschäft Geld verdienen, um unsere Investitionen zu sichern und weiter wachsen zu können. Doch einen Teil geben wir dann auch lokal zurück, etwa durch die Unterstützung des Nippon Connection Filmfestivals hier in Frankfurt.

J-BIG: Und da kommen Frankfurt und Japan zusammen.

Gerhard Wiesheu: Wir unterstützen auch das Museum für Angewandte Kunst (MaK), das eine der größten Sammlungen von Netsuke und Inro beherbergt. Wilhelm Metzler stiftete das MaK im 19. Jahrhundert, und bei Ausstellungen mit Japanbezug engagieren wir uns besonders intensiv, um diese Projekte maßgeblich zu fördern.

J-BIG: Dann ist die Nippon Connection die „moderne Variante“ von dem, was man auch schon im 19. Jahrhundert gemacht hat? Was sind Ihre weiteren Aktivitäten?

Gerhard Wiesheu: Genau, unser Engagement beschränkt sich nicht nur auf finanzielle Unterstützung. Wir helfen auch aktiv mit, wenn etwas angeschafft werden muss, und sowohl Mitarbeiter als auch der Vorstand bringen sich ein. Seit 2011 habe ich deshalb ehrenamtlich den Vorsitz des DJW übernommen, wo ich zuvor bereits Mitglied und im Vorstand war. Für das JDZB sprach mich das Außenministerium an. Hier zeigt sich der Unterschied: Der DJW ist unser privatwirtschaftliches Engagement, das JDZB hingegen staatlich. Dort unterstützen wir mit Know-how und Einsatz, was sehr fruchtbar sein kann.

Ein weiteres Beispiel ist mein Stiftungsratsvorsitz beim Georg-Speyer-Haus, das seit 140 Jahren Krebsforschung betreibt. Was das mit einer Bank zu tun hat? Einerseits wenig, andererseits viel, da wir durch Grundlagenforschung auch vielen Unternehmen begegnen. Hier lässt sich das Nützliche mit dem Guten verbinden – genau das ist unser Ansatz.

J-BIG: Wo sehen Sie Ihre konkreten Aufgaben beim DJW? Geht es auch darum, Ihr Netzwerk zur Verfügung zu stellen?

Gerhard Wiesheu: Für den DJW ist es entscheidend, dass jemand wie ich die Organisation bekannter macht und Türen öffnet – in der Wirtschaft wie in der Politik, sowohl in Japan als auch in Deutschland. Die meisten Fördermitglieder in Japan konnte ich durch persönliche Ansprache gewinnen. Kanzler- und Ministerreisen sind ebenfalls eine gute Gelegenheit, den DJW zu repräsentieren und als Berater zu agieren. 2014 besuchte Premierminister Abe Deutschland, und 2015 reisten wir mit der Kanzlerin nach Japan, wodurch die deutsch-japanische Beziehung deutlich an Fahrt aufnahm. Der Gegenbesuch von Merkel und die darauffolgenden Konsultationen führten schließlich zum EPA, das 2019 in Tokyo ratifiziert wurde. Dort waren wir mit der Wirtschaftsdelegation und halbem Kabinett vertreten – wichtige Gespräche und Schritte für beide Länder.

Dass Olaf Scholz seine erste Kanzlerreise nach Japan und nicht nach China unternahm und kurze Zeit später Regierungskonsultationen folgten, war ein starkes Signal. An dieser Zusammenarbeit mitzuwirken und wertvollen Input zu geben, macht Freude und ist der Kern unserer Arbeit im DJW.

Gerhard Wiesheu
Es geht um das große Ganze – das Zusammenführen von Menschen und Perspektiven.
Gerhard Wiesheu
Vorstandssprecher des Bankhauses Metzler

J-BIG: Es wirkt so, als ob Metzler in diesen 350 Jahren gelernt hat, dass die verschiedenen Dimensionen Politik, Wirtschaft und Kultur, nicht im luftleeren Raum existieren, sondern genau miteinander verzahnt sind.

Gerhard Wiesheu: Genau, und so entsteht etwas. Es gibt das Verb ‚metzlern‘ – ‚Metzler‘ steht nicht nur für die Bank, sondern auch für die Familie und eine Open-Door-Policy, die Menschen zusammenbringt. Bei unserer 350-Jahr-Feier in Tokyo luden wir natürlich unsere Kunden ein, aber ebenso Gäste aus Kultur und Politik. Es geht um das große Ganze – das Zusammenführen von Menschen und Perspektiven.

J-BIG: Wir wissen aus der Geschichte, dass Dinge, die 1860 angestoßen wurden, 1890 einen Effekt hatten und, dass man das vorher nicht immer weiß. Die, die nur in Quartalen denken, können diese Dimension oder diese Perspektive gar nicht einnehmen.

Gerhard Wiesheu: Wir veröffentlichen einmal im Jahr unsere Bilanz und GuV, wie jede andere Bank. Doch als nicht börsennotiertes Unternehmen haben wir die Freiheit, langfristig zu denken und zu handeln. Wir wissen, dass sich Kultur und Wirtschaft nicht ausschließen, sondern ideal ergänzen.

J-BIG: Und kann man das vielleicht noch besser sehen, wenn man den Japanbezug hat? Die japanische Küche und die Tradition spielt natürlich eine Riesenrolle für die Attraktivität Japans als Standort. Und während das bei uns nicht so ausgeprägt ist, haben die Japaner schon sehr lange explizites Nation Branding betrieben. Aus Ihrer Japanerfahrung und aus der langen Erfahrung hier am Standort: Was können wir uns in Deutschland vielleicht von den Japanern abgucken?

Gerhard Wiesheu: Gleich zu den japanischen Dienstleistungen: Meine Frau macht Teezeremonie, und ich bin oft als Gast dabei, schaue zu und trinke Tee – ich mag Matcha-Tee sehr gern. Ich sage immer: Kaffee macht den Körper wach, Matcha den Geist. Jeden Tag rühre ich mir Matcha an, das ist mein Start in den Tag. Man nimmt sich Zeit für solche Dinge und natürlich für die Zeremonie.

Es stimmt, dass Japan eine geringere Produktivität als Deutschland hat, aber ich würde den Japanern auf keinen Fall raten, diese Produktivität zu steigern. Warum? Weil Japan einen gigantisch guten Kundenservicegedanken hat. Natürlich haben sie mehr Leute als wir, weil viel mehr selbst gemacht wird und das Bedienen im Restaurant einen ganz anderen Stellenwert hat. Wenn man sich das leistet, ist die Produktivität niedriger. Aber für das japanische Asset, was Japan ausmacht, ist das ein wichtiger Faktor, den man nicht einfach wegrationalisieren darf. Sich Zeit zu nehmen: Das ist die Stärke Japans.

J-BIG: Seit Sie vor 23 Jahren zu Metzler gekommen sind haben Sie sehr viel gemacht. Seit 2023 sind Sie der CEO und für das Gesamtgeschäft zuständig. Hat das Auswirkungen auf das Japanthema gehabt?

Gerhard Wiesheu: Es sind natürlich Aufgaben dazugekommen. Fast das gesamte Private Banking machen wir für Deutschland, aber die anderen drei Geschäftsbereiche sind für Japan sehr relevant. Außerdem empfangen wir regelmäßig Besucher aus Japan, und so bin ich etwa viermal im Jahr in Tokyo, Osaka, Kyoto oder Nagoya. Der Austausch ist rege – Japan ist ein wichtiger Teil dieser Bank. Daher kann ich weiterhin die nötige Zeit investieren. Wir haben hier einen Japan-Desk und ein starkes Team in Tokyo, sodass die Arbeit gut verteilt ist und nicht alles an mir hängt.

J-BIG: Jetzt sind Sie 62, da denken ja manche schon an Ruhestand. Aber Sie sind da auch eher japanisch?

Gerhard Wiesheu: In dieser Hinsicht ist das gesamte Bankhaus eher japanisch. Da wir nicht börsennotiert sind, gibt es kein festes Ruhestandsalter – es hängt vielmehr von den individuellen Bedürfnissen der Bank und des Vorstandsmitglieds ab. Einige unserer Mitarbeiter sind erst mit 70 in den Ruhestand gegangen. Man verliert ja nicht den Fachverstand, nur weil man 65 oder 66 wird. Im Gegenteil: Wenn erfahrene Kräfte in den Ruhestand geschickt werden, geht uns wertvolles Know-how verloren, und in Zeiten von Fachkräftemangel ist das ein Produktivitätsverlust. Im Vorstand und der gesamten Bank hängt vieles von der persönlichen Einstellung ab, und ich selbst plane auf jeden Fall, das Japangeschäft langfristig zu betreiben.

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