„Wir sehen weiter gute Chancen für Technologieaktien“
Der Chef des traditionsreichen Bankhauses Metzler erwartet im Interview mit Michael Maisch vom Handelsblatt, dass sich der Aufschwung an den Börsen 2025 fortsetzt. Vor allem in einem Land sieht er allerdings Risiken. Grundsätzlich bleibt Gerhard Wiesheu optimistisch, was die Aussichten für das Börsenjahr 2025 angeht. Aber der Chef von Metzler – der ältesten deutschen Privatbank in ununterbrochenem Familienbesitz – sieht auch wachsende Risiken.
Handelsblatt: Herr Wiesheu, Metzler ist ja traditionell ein Aktienhaus, und 2024 war ein bemerkenswertes Aktienjahr. Wie stehen die Chancen, dass der Aufschwung 2025 weitergeht?
Wiesheu: Die Chancen stehen gut. Natürlich gibt es reichlich geopolitische Risiken, und die richtungsweisenden US-Börsen sind bereits sehr stark gelaufen, vor allem die Technologiewerte. Auf diesem hohen Niveau kann es immer wieder Rückschläge geben. Aber insgesamt gehen wir davon aus, dass auch 2025 ein gutes Börsenjahr wird, deshalb haben wir Aktien in unseren Portfolios im Private Banking übergewichtet.
Woher kommt dieser Optimismus?
Wir sehen weiter gute Chancen für Technologieaktien, die ja in diesem Jahr zu den entscheidenden Kurstreibern zählten. Anders als zu Zeiten der Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende glänzen die US-Tech-Aktien nicht nur mit hohen Börsenwerten. Sie erzielen auch immense Unternehmensgewinne, und zwar mehr als die Unternehmen an den meisten anderen Aktienmärkten zusammen.
Unterschätzen Sie nicht die politischen Risiken in den USA?
Mit dem Regierungsantritt von Donald Trump beginnt eine völlig neue Phase für die gesamte Weltwirtschaft mit vielen Unbekannten. Unmittelbar nach der Wahl gab es viele Bedenken. Jetzt scheint sich die Stimmung zu drehen. So sorgt zum Beispiel die Hoffnung auf Deregulierung im Finanzsektor für einen Boom bei den Kryptowährungen, aber auch traditionelle Finanzkonzerne profitierten davon. Viele Manager scheinen darauf zu setzen, dass Trump die Kräfte der US-Wirtschaft entfesselt, und die Optimisten hoffen, dass der US-Präsident seine protektionistischen Drohungen am Ende nicht eins zu eins wahr macht. Ein Beispiel: Trump hat Elon Musk als engen Berater an Bord geholt und Musks Unternehmen verdienen sehr viel Geld in China. Solche Konstellationen könnten helfen, einen Handelskrieg zu verhindern.
Wenn Sie mit Ihrem Optimismus für die US-Börsen recht behalten, dann dürfte die Dominanz der amerikanischen Kapitalmärkte 2024 noch stärker werden, oder?
Die Bewertungen in Europa sind sehr viel niedriger als in den USA, aber allein daraus ergeben sich interessante Investmentmöglichkeiten, und wir sind optimistisch für Asien, allerdings mit einer Ausnahme: China. Dort wird die Wachstumsschwäche wahrscheinlich länger anhalten, als viele im Moment erwarten, verbunden mit der Gefahr einer lähmenden Deflation, so wie sie Japan in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat.
Sie sind ein ausgewiesener Japan-Kenner, wo sehen Sie die Parallelen?
In beiden Fällen begannen die Probleme mit dem Platzen einer Immobilienblase. Um aus einer solchen Krise herauszukommen, braucht es große Anstrengungen, man muss bereit sein, Verluste zu akzeptieren und schnell handeln. Japan hat damals viel zu lange mit der Sanierung der Bankbilanzen gewartet. Das haben die USA während der Savings- und Loans-Krise in den 80er-Jahren, als Hunderte kleine Banken in Not gerieten, und in der Finanzkrise 2008 besser gemacht. Die Banken wurden schnell mit Staatsmitteln gestützt und die Bilanzen konsequent saniert, ab da begann die Erholung.
Und China ist im Moment noch nicht bereit, diese harten und schnellen Maßnahmen zu treffen?
So würde ich die aktuelle Situation beurteilen. Außerdem braucht es, um Wachstumsschwäche und Deflation zu überwinden, Konjunkturprogramme. Diese Programme müssten im Fall von China massiv ausfallen. Auch hier müsste die Regierung in Peking noch größer denken.
Sehen Sie außer China noch weitere Gefahren für die Kapitalmärkte?
Direkt nach den geopolitischen Risiken kommt für mich die Staatsverschuldung. Nach der Finanzkrise 2008/09 war die Devise eigentlich: "Wir müssen dieses Problem in den Griff bekommen". Aber seither haben sich die Staatsschulden weltweit verdoppelt, und die Toleranz der Investoren nimmt spürbar ab. Vor zwei Jahren bekam Großbritannien Probleme wegen der Haushaltspläne der damaligen Premierministerin Liz Truss. 2024 sorgte die Regierungskrise in Frankreich für deutlich höhere Risikoaufschläge, und die von Donald Trump geplanten Ausgabenprogramme bedeuten, dass sich die USA noch höher verschulden müssen als ohnehin schon.
Fürchten Sie einen Käuferstreik bei US-Staatsanleihen?
Nein, das nicht. An der Rolle des Dollars als globaler Leitwährung wird sich nichts ändern. Das bedeutet, dass sich die USA weiter verschulden können. Die Frage ist aber, zu welchen Konditionen. Die Risikoaufschläge könnten steigen und höhere Renditen am Anleihemarkt wären schlecht für die Wachstumsaussichten der USA und sie wären schlecht für die Entwicklung der Aktienkurse.
Sie haben vorhin gesagt, dass Sie auch für die europäischen Börsen Potenzial sehen. Aber können Sie Ihren Kunden angesichts der politischen Krise und der schwachen Wirtschaft im Moment wirklich guten Gewissens zu deutschen Aktien raten?
Sicher, Deutschland steckt in einer schwierigen Lage. Das Geschäftsmodell, das auf billiger Energie und Exporten vor allem in Richtung China basierte, ist in Not geraten. Aber wenn ich mit internationalen Kunden spreche, dann spüre ich noch immer ein großes Grundvertrauen in Deutschland. Der Handlungsdruck ist im Moment enorm groß, und dieser Druck dürfte dafür sorgen, dass eine neue Regierung die nötigen Reformen angehen wird. Das hat man immer wieder gesehen, zuletzt 2003, als die von Kanzler Gerhard Schröder geführte Regierung die Agenda 2010 auf den Weg brachte.
Welche Reformen wären denn aus Ihrer Sicht am dringendsten?
Da gibt es einige, einer der größten Bremsklötze ist die Bürokratie, und Deutschland muss die Digitalisierung vorantreiben. Wenn man beide Themen kombiniert, kann das sehr viel Potenzial freisetzen. Ich habe vor Kurzem die Digitalministerin von Norwegen getroffen, dort gibt es quasi keine Bürgerämter mehr, alle Anträge, alle Transaktionen lassen sich über das Smartphone abwickeln. Dadurch spart Norwegen drei Milliarden Dollar jährlich, bei einer Bevölkerung von 5,5 Millionen Menschen. Rechnen Sie das einmal auf 82 Millionen hoch.
Braucht Deutschland einen Elon Musk, der für Donald Trump in den USA die Rolle des Bürokratie-Schredderers übernehmen soll?
Nein, wir brauchen einen gut durchdachten Plan, der von einer breiten Mehrheit getragen wird. Ich glaube, eine Einzelperson, die brachial versucht, Bürokratie zu beseitigen, passt nicht zur deutschen Mentalität und zu unserem föderalen Staatssystem. Außerdem ist vieles, was Musk wohl unter Bürokratie fassen würde, bewahrenswert. In den Bundes- und Landesministerien arbeiten viele Beamte, denen ich ein gutes Zeugnis ausstellen würde. Die meisten sind exzellente Fachleute mit großer Erfahrung. Dieses Know-how bleibt auch bei einem Regierungswechsel bestehen, anders als in den USA.
Der Standort Deutschland ist also besser als sein Ruf?
Ja, das sieht man auch an der Entwicklung des Aktienmarkts. Der Dax zählte 2024 mit einem Plus von rund 20 Prozent zu den besten Indizes im internationalen Vergleich. Sehr erfolgreiche Unternehmen wie SAP, Rheinmetall oder MTU haben noch größere Kursgewinne erzielt. Deshalb ist die Auswahl von Einzelaktien so wichtig, man sollte sich als Investor nicht nur auf Indizes verlassen.
Und welche Branchen und Werte finden Sie attraktiv?
Künstliche Intelligenz gehört sicher dazu, wir glauben an die Wachstumschancen des Sektors. Dabei geht es aber nicht nur um Chiphersteller oder die großen Tech-Konzerne. Auch Beratungsunternehmen, wie zum Beispiel Accenture, die den Unternehmen helfen, KI zu implementieren, sind spannend. Cybersecurity ist ein interessantes Thema mit Unternehmen wie Palo Alto. Healthcare ist ein weiterer spannender Sektor. Die Kursverluste der deutschen Automobilwerte mögen zunächst abschreckend wirken, könnten aber dank günstigerer Bewertungen wieder interessant werden.
Tod des Firmenpatriarchen2024 war in vieler Hinsicht ein wichtiges Jahr für Metzler. Da war zum einen das 350. Firmenjubiläum, dann ist aber auch Friedrich von Metzler, langjähriger Chef der Bank und einer der bedeutendsten Frankfurter Bankiers, vor Kurzem gestorben. Was bedeutet das für das Unternehmen?
Der Tod von Friedrich von Metzler ist ein großer Verlust. Er war weitsichtig, er war ein Menschenfreund, er war ein Vorbild, und wir alle vermissen ihn sehr. Er hat die Bank viele Jahre lang sehr erfolgreich geleitet, 2018 ist er selbstbestimmt aus der Geschäftsleitung ausgeschieden. Es war sein Wunsch, dass der Vorstand die Bank in die nächste Generation führt. Diese Nachfolge, die für ein Familienunternehmen ganz besonders wichtig ist, hat er hervorragend vorbereitet. Sein Tod macht uns deshalb alle betroffen und traurig. Das Tagesgeschäft der Bank und unsere Strategie laufen gleichzeitig geordnet weiter, so wie er es gewollt hätte.
Metzler ist nach wie vor zu 100 Prozent im Familienbesitz. Sie sind nach Emmerich Müller der zweite Vorstandschef in Folge, dessen Nachname nicht von Metzler ist. Wird es bald wieder einen Vorstandschef oder eine Chefin geben, die aus der Familie kommt, immerhin sitzt mit Franz von Metzler jetzt wieder ein Familienmitglied im Vorstand?
Ein Grund, warum Metzler 350 Jahre lang überlebt hat, ist die sehr langfristige und sehr strukturierte Nachfolgeregelung. Aber die Planung ist auch flexibel, wir geben den Kandidaten die nötige Zeit, sich zu entwickeln. Ich sage immer, ich habe den schönsten Job am Finanzplatz Frankfurt, aber ich denke auch, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass die Familie wieder die operative Führung übernehmen wird, wenn der richtige Zeitpunkt gekommen ist. Und das sind sehr schöne Aussichten.
Und wie liefen die Geschäfte im Jubiläumsjahr? 2023 sank das für die Bank entscheidende Provisionsergebnis von 194 auf 180 Millionen Euro. Wie war die Entwicklung im Jahr 2024?
Wir sagen immer, wir sind dankbar, aber nie zufrieden. Aber im Ernst, wir hatten ein erfolgreiches Jahr. Ende 2023 haben wir unsere neue Strategie auf den Weg gebracht, die jetzt bereits Früchte trägt: etwa im Asset-Management, wenn ich an die Themen Altersvorsorge und Infrastruktur denke, oder im Private Banking, wo wir einen neuen Standort in Berlin eröffnen. Unsere Entwicklung ist sehr positiv.
Zur Tradition bei Metzler gehört auch das Jahresergebnis, das immer präzise 2,3 Millionen Euro beträgt und als Dividende an die Familie ausgeschüttet wird.
Ganz genau, und der sehr viel größere Teil des Gewinns fließt in die Stärkung unserer Eigenmittel und stillen Reserven. Unser Ziel ist es nicht, die Eigenkapitalrendite zu optimieren. Wir steuern die Bank so, dass sie sich kontinuierlich weiterentwickeln kann.