„Es gibt eine Reihe von Banken, die nicht realisierte Verluste in ihren Bilanzen haben“
Das Joint Venture Metzler/Payden feiert in diesem Jahr 25-jähriges Jubiläum und steht für die transatlantische Expertise. Auf dem ersten „Economist Summit“ am 21. März 2023 in Frankfurt am Main diskutierten Jeffrey Cleveland, Chief Economist von Payden & Rygel, und Edgar Walk, Chefvolkswirt Metzler Asset Management GmbH. Themen waren neben der derzeitigen Lage der Banken, die Entscheidungsspielräume der Zentralbanken und die Entwicklung der Wirtschaft auf beiden Seiten des Atlantiks.
Edgar Walk: Beginnen wir mit dem Offensichtlichsten: Was denkst Du über die aktuelle Bankenkrise in den USA und Europa? Ist sie schon vorbei oder kommt noch mehr auf uns zu?
Jeffrey Cleveland: Das ist schwer zu sagen. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es sich um ein systemisches Problem handelt. Als eine Reaktion auf die Covid-Pandemie im Jahr 2020 und die Lockdowns gab es in den USA großzügige staatliche Finanzhilfen, wie aus einem Helikopter heraus wurde Geld abgeworfen. Etwa zwei bis drei Billionen US-Dollar wurden fast direkt an die US-Haushalte von staatlicher Seite verteilt. Daher stiegen die Bankeinlagen im US-Bankensystem sprunghaft an. Die Banken wussten nicht so recht, was sie mit all diesem Geld anfangen sollten. Da die Kreditnachfrage nur schleppend verlief, suchten sie eine Alternative. Also investierten die Banken riesige Summen in langfristige US-Staatsanleihen und hypothekarisch gesicherte Wertpapiere. Im Bankensystem insgesamt kam es zu mehr Wertpapierkäufen. Wie wir in den letzten Wochen feststellen mussten, waren einige Banken überdurchschnittlich stark in Wertpapieren engagiert und gleichzeitig nicht gegen Zinsrisiken abgesichert. Bei den über 2.000 kleineren Banken in den USA sind die Absicherungsaktivitäten wahrscheinlich unterschiedlich ausgeprägt. Dies bedeutet, dass es eine Reihe von Banken gibt, die nicht realisierte Verluste in ihren Bilanzen haben.
Mein Bauchgefühl sagt mir, dass es sich um ein systemisches Problem handelt.
Walk: Aber solange sie keine wesentlichen Abflüsse von Einlagen haben, können sie überleben, oder? Weil sie immer noch in der Lage sein sollten, vielleicht 2 Prozent Rendite auf ihre Wertpapiere zu erwirtschaften. Der Einlagensatz liegt bei etwa 0,5 Prozent.
Cleveland: Ja, sie können überleben. Aber sie haben im Moment Abflüsse: Die Gesamteinlagen im Bankensystem sind jetzt im Vergleich zum Vorjahr um 3 Prozent gesunken. Das passiert sehr selten und hat es in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben. Tatsächlich erhöht die Fed seit dem Frühjahr 2021 implizit die Finanzierungskosten für die Banken durch ihr neues Instrument, die so genannte „Overnight Reverse Repo Facility“. Im Grunde können Geldmarktfonds Geld bei der Fed einzahlen und erhalten dafür den Tagesgeldsatz. Sie haben dabei eine ziemlich sichere Gegenpartei und erhalten einen Zinssatz, der in etwa auf Höhe der Fed Funds Rate liegt. Eine Menge Geld, etwa 2,5 Billionen US-Dollar, wurde aus dem Bankensystem herausgesaugt und in Geldmarktfonds verschoben. Darüber hinaus rutschte der Tech-Sektor im Silicon Valley in eine Rezession, sodass viele kleinere Tech-Firmen nicht in der Lage waren, sich mehr Geld zu beschaffen, und ihre Bankeinlagen in diesem Prozess aufgebraucht wurden.
Walk: Wie sieht es mit der Flexibilität der Einlagenzinsen in den USA aus? Es besteht die Befürchtung, dass bei den Banken eine negative Zinsspanne auftreten könnte. Stell Dir vor, die Banken müssten in den kommenden Monaten die Einlagenzinsen auf bis zu 4 Prozent anheben, während sie mit ihren Wertpapieren nur 2 Prozent Ertrag erzielen.
Cleveland: Sie sind in der Regel nicht allzu flexibel, aber die Zinserhöhung der Fed und der Abfluss von Einlagen setzen die Banken unter Druck, die Einlagenzinsen wettbewerbsfähiger zu gestalten.
Walk: Ich denke, dass es einen Unterschied zwischen den US-amerikanischen und den europäischen Banken gibt. Es fließt nicht so viel Geld aus dem europäischen Bankensystem ab, was bedeutet, dass die Banken weniger Druck haben, die Einlagensätze zu erhöhen. Außerdem verfügen die europäischen Banken bei der Europäischen Zentralbank über eine große Überschussliquidität, die unter den Banken gleichmäßiger verteilt ist als in den USA. In den USA konzentriert sich die Überschussliquidität auf wenige große Banken. Deshalb habe ich die Sache mit der Credit Suisse recht gelassen gesehen. Versteh mich nicht falsch, ich war trotzdem froh, dass die Schweizerische Nationalbank sich entschlossen hat, einzugreifen, denn es gibt enorme Verflechtungen mit dem Bankensektor im Allgemeinen. Allerdings war die Credit Suisse in meinen Augen die einzige Schwachstelle im europäischen Bankensystem. Abgesehen davon sehe ich derzeit nicht viele andere Risikofaktoren.
Cleveland: Befürchtest Du nicht, dass auch in Europa ein solches Risiko besteht? Also, dass es Institutionen gibt, die in Anlagen mit längerer Laufzeit investiert haben, solange die Zinsen niedrig waren, und jetzt auf hohen, nicht realisierten Verlusten sitzen?
Walk: Es gibt sicherlich nicht realisierte Verluste. Aber diese müssen nicht realisiert werden, weil die Einlagen der Banken stabil sind und kaum Zinsen erfordern. Außerdem erhalten die europäischen Banken jetzt Zinsen auf ihre Überschussliquidität bei der Europäischen Zentralbank und vom Markt im Allgemeinen – sie haben also üppige Zinseinnahmen. Wenn die Europäische Zentralbank die Finanzmärkte in den kommenden Monaten stabil halten kann, insbesondere den Markt für vorrangige Anleihen, können die Banken ihre Verluste im Laufe der Zeit abschreiben. Ich denke also, dass das Bankensystem in Europa stabil ist.
Cleveland: In den USA sehe ich weitere Entwicklungen. So sind Einlagen von kleinen Banken zu großen Banken transferiert worden. Einige der großen Banken zahlten das Geld wieder bei kleinen Banken als Depositen ein, um das System zu stabilisieren. Auch initiierte die Fed das Notfallprogramm „Bank Term Funding Program (BTFP)“; sie akzeptiert jetzt von den Banken Sicherheiten nicht mehr zum Marktwert plus Abschlag sondern zum Nennwert und fungiert so als Kreditgeber der letzten Instanz.
Wenn die Europäische Zentralbank die Finanzmärkte in den kommenden Monaten stabil halten kann, insbesondere den Markt für vorrangige Anleihen, können die Banken ihre Verluste im Laufe der Zeit abschreiben.
Walk: In den USA wird viel über den gewerblichen Immobiliensektor diskutiert, und es heißt, dass vor allem kleinere und regionale Banken in diesem Sektor stark engagiert sind.
Cleveland: Meiner Ansicht nach ist der gewerbliche Immobiliensektor Teil eines größeren Problems für die US-Wirtschaft. Kleine und mittelgroße Banken in den USA spielen bei der Kreditvergabe in bestimmten Sektoren eine große Rolle. Bei Gewerbeimmobilien stammen 80 Prozent der Kredite von kleinen und mittleren Banken, bei Wohnbauhypotheken sind es etwa 60 Prozent, bei Gewerbe- und Industriekrediten etwa 50 Prozent ebenso wie bei Verbraucherkrediten. Auch wenn die Fed eine Krise abwenden kann, indem sie als Kreditgeber der letzten Instanz auftritt, besteht also immer noch das Risiko, dass die kleinen und mittleren Banken nicht mehr in der Lage sind, neue Kredite zu vergeben. In diesem Fall würde die Kreditverknappung das Wachstum bremsen und könnte die Inflation senken. Dies könnte in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 der Fall sein. Letztendlich ist es wichtig zu verstehen, dass diese kleineren Banken eine wichtige Rolle auf regionaler Ebene und damit für die US-Wirtschaft spielen.
Walk: Das ist vielleicht vergleichbar mit Deutschland, wo es die Sparkassen gibt, die auf regionaler Ebene tätig sind. Lass uns aber auch einen Blick auf die Zentralbanken und ihre Optionen werfen.
Cleveland: Wenn wir uns mögliche Zinserhöhungen in den USA ansehen, stellt sich die Frage, ob die Fed die Zinssätze erhöhen und gleichzeitig den Instituten die Liquidität zur Verfügung stellen kann, die sie benötigen. Es wird sicherlich eine Herausforderung sein, aber ich denke, sie kann es. Aus diesem Grund hat sie das „Bank Term Funding Program“ auch so gestaltet, wie sie es getan hat. Eine Erhöhung der Zinssätze wird jedoch die Geldmarktzinsen in die Höhe treiben, was dazu führen wird, dass noch mehr Einlagen abwandern. Was denkst du, hinsichtlich der Situation in Europa und den Optionen der Europäischen Zentralbank?
Walk: Traditionell spielt die Inflation für die Europäische Zentralbank eine viel größere Rolle als die Wirtschaftsaussichten. Angesichts einer Kerninflation von nahezu 6 Prozent und einer starken Beschleunigung der Löhne wird es meiner Meinung nach für die Europäische Zentralbank sehr schwierig sein, die Zinsen im Mai nicht anzuheben. Darüber hinaus gibt es meiner Meinung nach in Europa weniger Risiken für die Finanzmarktstabilität im Vergleich zu den USA. Daher denke ich, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen auf bis zu 3,5 % anheben wird. Aber versteh mich nicht falsch, ich sehe immer noch hohe Rezessionsrisiken für Europa in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 aufgrund der strafferen Geldpolitik.
Cleveland: In den USA heißt es, die Inflation in Europa sei nur energiegetrieben. Sobald die Energiepreise sinken, werde die Inflation mit einer gewissen Verzögerung verschwinden.
Walk: Nun, wir sehen bereits ein hohes Lohnwachstum und damit Zweitrundeneffekte. Dies sollte ein klares Zeichen für die Europäische Zentralbank sein, dass der Kampf gegen die Inflation noch nicht zu Ende ist. Die Inflationserwartungen sind immerhin noch niedrig, es gibt also noch keine Anzeichen für einen Verlust an Glaubwürdigkeit. Die Zweitrundeneffekte hätten aber vermeiden werden können, wenn die Europäische Zentralbank schon früher im vergangenen Jahr die Zinsen angehoben hätte.
Cleveland: Wenn ich mit der Einschätzung recht habe, dass die Bankenkrise in den USA noch nicht vorbei ist und dass daher die Einlagen weiter schrumpfen und die Kreditschöpfung sich merklich verlangsamt, droht eine konjunkturelle Schwäche in der zweiten Hälfte des Jahres 2023. Gleichzeitig wird dann die Arbeitslosigkeit steigen und die Inflation nachlassen. Sobald die Inflation nachlässt, könnte die Fed beginnen, die Zinsen zu senken. Der Zeitpunkt dafür ist jedoch schwer vorherzusehen. Wenn ich also recht damit habe, dass die Quelle der Inflation die Geld- und Kreditschöpfung ist, könnte die Inflation zurückgehen, was zu einer Zinssenkung führen wird.
Walk: Wenn ich mir den Arbeitsmarkt jetzt anschaue, könnte die Dynamik in Europa etwas anders sein als in den USA. Denn viele Arbeitnehmer gehen in den nächsten Jahren in Rente. Meiner Meinung nach könnte also die Europäische Zentralbank erst einmal abwarten und beobachten, wie sich die Arbeitsmärkte entwickeln, bevor sie die Zinsen senkt.
Cleveland: Wie auch immer, irgendwann werden wir Zinssenkungen erleben. Wenn man sich frühere Zyklen ansieht, in denen die Fed die Zinssätze gesenkt hat, dann war das immer ziemlich drastisch.