Ausblick auf das 4. Quartal: Zunehmende Anzeichen für Abschwung der Weltwirtschaft
Rentenmärkte: Rentenanstiege dies- und jenseits des Atlantiks
Europäische Staatsanleihen mussten im dritten Quartal herbe Verluste einstecken. So verzeichnete der Index von Staatsanleihen aus der Eurozone von ICE BofA einen Verlust von 2,5 Prozent. Die Gründe dafür waren einerseits die beiden Leitzinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) im dritten Quartal sowie der rapide Renditeanstieg von US-Staatsanleihen, der sich traditionell auf Bundesanleihen überträgt. Unternehmensanleihen mit einem Investmentgrade-Rating entwickelten sich dagegen sogar positiv mit einem Plus von 0,3 Prozent und europäische High-Yield-Anleihen sogar mit 1,7 Prozent – jeweils laut ICE BofA Indizes. Die positive Wertentwicklung von Unternehmensanleihen war eine Folge sich einengender Spreads, was ungewöhnlich war in einem Umfeld, in dem die EZB den Leitzins in zwei Schritten anhob und sich die Konjunkturdaten in der Tendenz verschlechterten.
Die Rendite einer 10-jährigen Staatsanleihe lässt sich auch als durchschnittlich erwarteter Leitzins über zehn Jahre plus Risikoprämie sehen. Der Renditeanstieg im dritten Quartal war einerseits dadurch bedingt, dass sowohl die US-Notenbank als auch die EZB signalisierten, dass sie den Leitzins nicht so schnell senken werden. Die Finanzmarktakteure mussten daher weniger Leitzinssenkungen in den kommenden Jahren einpreisen. Andererseits gab es auch Druck auf die Risikoprämie. Die Staatsdefizite in den USA könnten in den kommenden Jahren ausufern, da infolge des Renteneintritts der Baby-Boomer die Zahlungen von Medicare und Social Security erheblich steigen könnten. Ausufernde Defizite bedeuten, dass die US-Regierung in den kommenden Jahren eine erhebliche Anzahl an Staatsanleihen emittieren muss. Allein in diesem Jahr dürfte das Staatsdefizit bei etwa 2,0 Billionen USD liegen. Gleichzeitig reduziert die US-Notenbank ihre Bilanz und verkauft Staatsanleihen in Höhe von etwa 1,0 Billionen USD pro Jahr. Die bevorstehende Emissionswelle trifft auf immer weniger Länder, die ihre Devisenreserven am US-Staatsanleihemarkt anlegen. Die Folge ist ein Anstieg der Risikoprämie für US-Staatsanleihen, die sich auch auf Europa überträgt. Wir sehen das Risiko, dass die Rendite von 10-jährigen US-Staatsanleihen bis auf 5,5 Prozent und von 10-jährigen Bundesanleihen bis auf 3,5 Prozent steigen kann.
Aktienmärkte: Anzeichen für Abschwung der Weltwirtschaft mehren sich
Im dritten Quartal verzeichneten die Kurse an den internationalen Aktienmärkten Verluste: Der MSCI Europa verlor etwa 2,0 Prozent. Der MSCI Welt und der MSCI Schwellenländerindex verloren im Vergleich dazu 2,5 Prozent und 1,3 Prozent – jeweils in lokaler Währung. Interessanterweise verbesserten sich im Quartalsverlauf die Gewinnschätzungen für die Unternehmen in den kommenden zwölf Monaten. Schwache Konjunkturdaten und damit verbundene Sorgen der Marktteilnehmer für die zukünftige Gewinnentwicklung waren somit nicht der Grund für die Kurskorrektur. Begründet war dies vielmehr im Rückgang des Kurs-Gewinn-Verhältnisses. Nach unseren Analysen wirken vor allem die Inflation und die Rendite 10-jähriger Staatsanleihen auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis ein. Die Inflation sank zwar im dritten Quartal, der Staatsanleihemarkt war jedoch turbulent, und die Renditen von Staatsanleihen verzeichneten einen merklichen Anstieg.
Zu Quartalsende mehrten sich die Anzeichen eines Abschwungs der Weltwirtschaft. Im vierten Quartal könnten daher die optimistischen Gewinnerwartungen der Analysten hinterfragt werden. Auch sehen wir Risiken, dass es an den Anleihemärkten im vierten Quartal turbulent bleiben könnte. Eine sich abschwächende Weltwirtschaft trägt zwar normalerweise zu einem Rückgang der Renditen von Staatsanleihen bei. Jedoch könnten die Renditen in diesem Zyklus trotzdem steigen, da zunehmend eine Risikoprämie für langlaufende Staatsanleihen eingepreist werden könnte – vor dem Hintergrund der ausufernden Staatsdefizite in den USA. Ein weiterer Rückgang der Kurs-Gewinn-Verhältnisse an den internationalen Aktienmärkten scheint daher im vierten Quartal durchaus wahrscheinlich. Eine niedrigere Bewertung der internationalen Aktienmärkte bedeutet aber auch, dass die mittelfristigen Ertragschancen wieder steigen.
Die Perspektiven für das vierte Quartal an den internationalen Aktienmärkten sind zwar gedämpft, aber dabei dürfte es sich um ein normales zyklisches Phänomen handeln. Jede Abschwungphase geht einmal zu Ende und wird durch einen neuen Aufschwung abgelöst. In der historischen Betrachtung zeigt sich zudem, dass Rezessionen deutlich kürzer sind als die Aufschwünge: Beispielsweise befand sich die US-Wirtschaft seit 1945 rund 87 Prozent der Zeit im Aufschwung; in 75 Jahren gab es zwölf Rezessionen, die im Schnitt jeweils etwa zehn Monate dauerten.
Konjunktur Eurozone: Sinkende Inflation, aber weiterhin hohe Hürden für Leitzinssenkungen
Die Geldpolitik der EZB zeigt erste Erfolge. Im September fiel die Inflation auf 4,3 Prozent. Noch im Juni hatte die Inflationsrate 5,5 Prozent betragen. Trotz des merklichen Rückgangs der Inflation setzte die EZB im dritten Quartal ihren Leitzinserhöhungszyklus fort und hob den Leitzins im Juli und September um jeweils 0,25 Prozentpunkte auf 4,0 Prozent an. Gegenwärtig schätzen die Marktteilnehmer das neutrale Leitzinsniveau bei 2,0 bis 2,5 Prozent - die EZB verfolgt somit eine restriktive Geldpolitik. Ein Resultat ist schon jetzt ein gebremstes Wirtschaftswachstum, wie die Einkaufsmanager- und Geschäftsklimaindizes im September signalisierten. Sie stimmen mit einem Wirtschaftswachstum geringfügig unter null überein.
Es ist davon auszugehen, dass die Leitzinserhöhungen bis dato noch nicht ihre volle Wirkung entfaltet haben und dass weitere restriktive Impulse sozusagen noch in der Pipeline stecken könnten. Es wäre daher möglich, dass sich die Wirtschaftsdaten in der Eurozone weiter abschwächen. Gleichzeitig ist der Arbeitsmarkt nach wie stark. Die Alterung der Gesellschaft führt dazu, dass in den kommenden Jahren viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Rente gehen werden. Unternehmen verzichten daher auf Entlassungen, da die Belegschaft perspektivisch schrumpfen wird. Zudem haben auch viele Unternehmen im Aufschwung nach Lockerung der Corona-Maßnahmen die Erfahrung gemacht, dass sie auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr die für eine Expansion der Produktion notwendigen Mitarbeitenden finden. Auch aus diesem Grund liegt die Hürde für Entlassungen sehr hoch. Die Arbeitslosenquote dürfte vor diesem Hintergrund in den kommenden Monaten stabil bleiben. Das könnte die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer stärken und für eine anhaltend hohe Lohndynamik sorgen. Gleichzeitig gibt es aber auch positive Szenarien für die europäische Wirtschaft: Die europäische Industrie könnte bald ihre Lagerbestände ausreichend geräumt haben, was die Produktion sich wieder beleben würde. Auch könnte es positive Spillover-Effekte aus den USA geben. Die Konjunkturdaten in den nächsten Wochen werden zeigen, in welche Richtung die europäische Wirtschaft tendiert. Grundsätzlich dürfte vor diesem Hintergrund die Hürde für Leitzinssenkungen der EZB eher hoch liegen.
Konjunktur USA: Leichte Konjunkturabschwächung im vierten Quartal wahrscheinlich
Die US-Wirtschaft scheint tatsächlich eine deutliche Wachstumsbeschleunigung im dritten Quartal verzeichnet zu haben. Offensichtlich konnten die Rettungsmaßnahmen nach dem Konkurs der Silicon Valley Bank und anderer Banken dazu beitragen, die Kreditvergabe zu stabilisieren. Gleichzeitig reagierten die Finanzmärkte positiv auf die umfangreichen Liquiditätsprogramme der US-Notenbank im Zuge der Bankenrettung, sodass sich die gesamtwirtschaftlichen Finanzierungsbedingungen verbesserten – mit positiven Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum.
Gleichzeitig scheinen die dramatischen Leitzinserhöhungen der US-Notenbank bisher noch keine größeren Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu haben. So haben die meisten privaten Haushalte ihre Immobilien mit langlaufenden Hypothekenkredite finanziert und sind somit nicht von dem Zinsanstieg betroffen. Darüber hinaus haben auch viele Unternehmen ihre Finanzierung zu günstigen Konditionen vor dem Zinsanstieg im vergangenen Jahr abgeschlossen, sodass die höheren Zinsen kaum Auswirkungen auf ihre Finanzierungskosten haben. Zudem sind die Cashbestände vieler Unternehmen hoch, die inzwischen hoch verzinst werden und sogar im Jahresverlauf zu einem Rückgang der Netto-Zinslast bei vielen Unternehmen beigetragen haben. Die Resilienz der US-Wirtschaft ist zweifelslos beeindruckend.
Nichtsdestotrotz mehrten sich auch in den USA gegen Quartalsende die ersten Anzeichen für einen Abschwung: Der bisher robuste Wohnimmobilienmarkt kühlte sich merklich ab, die Zahlungsausfälle bei Konsumenten- und Autokrediten sowie bei Kreditkarten stiegen. Auch die Konkurse von Unternehmen nahmen zu. Hinzu kam, dass die Konjunkturdaten ein eher gemischtes Bild zeigten. Das Wirtschaftswachstum könnte sich also im vierten Quartal gegenüber dem dritten Quartal abschwächen – es ist derzeit aber noch unklar, wie stark. Vor dem Hintergrund der hohen Unsicherheit ist es fraglich, ob die US-Notenbank noch einen Zinsschritt im November gehen wird. Unseres Erachtens liegt die Wahrscheinlichkeit derzeit bei 50 Prozent, da wir mit anhaltend schwachen Konjunkturdaten rechnen. Auch entwickelte sich die Inflation in den USA zuletzt sehr moderat, sodass die US-Notenbank aufgrund von Inflationsgefahren nicht unter Druck steht, den Leitzins anheben zu müssen.
Konjunktur Asien: Japans Export profitiert von schwachem Yen, China müßte Konsumschwäche bekämpfen
Auch im dritten Quartal waren die japanischen Konjunkturdaten gut: So entwickelten sich die Einkaufsmanagerindizes in Japan im September deutlich besser als in Europa und den USA. Begründet lag dies in der Beibehaltung der ultralockeren Geldpolitik in Japan, wogegen die Geldpolitik in den USA und Europa eher restriktiv ist. Daher ließ sich auch eine Schwäche des Wechselkurses des japanischen Yen beobachten, die den japanischen Exporteuren half. Der Nachteil der Yen-Schwäche ist jedoch, dass die Importpreise merklich stiegen – und ebenso die Inflation. Im August betrug die Inflationsrate 3,2 Prozent. Der inflationäre Impuls höherer Importpreise hat sich bisher jedoch noch nicht in die Binnenwirtschaft übertragen. Die Wachstumsrate der Löhne lag im Trend im August nur bei etwa 1,8 Prozent. Um jedoch das Inflationsziel von 2,0 Prozent dauerhaft zu erreichen, müssen die Löhne um etwa 3,0 Prozent steigen. Bei stabilen Gewinnmargen der Unternehmen entspricht die Wachstumsrate der Lohnstückkosten (Löhne 3,0 Prozent - Produktivität 1,0 Prozent = Lohnstückkostenwachstum 2,0 Prozent) der binnenwirtschaftlich generierten Inflation. Die Bank von Japan dürfte daher abwarten, bis sich die Lohndynamik beschleunigt hat, bevor sie ihre Geldpolitik anpasst. Damit riskiert sie jedoch, den Wechselkurs des japanischen Yen weiter zu schwächen.
Die schwachen Konjunkturdaten im zweiten Quartal zwangen die chinesische Regierung zum Handeln. So wurden zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, die Konjunktur zu stabilisieren. Interessanterweise fokussierten sich die Maßnahmen wieder auf den Immobilienmarkt und auf Infrastrukturprogramme, also auf Bereiche, die eigentlich schon ausgereizt sind. Die strukturelle Schwäche beim Konsum wurde nicht adressiert. Laut den Volkswirten vor Ort gibt es ideologische Vorbehalte gegen eine Konsumgesellschaft innerhalb der chinesischen Regierung. Die beschlossenen Maßnahmen dürften daher die chinesische Wirtschaft nur vorübergehend beleben und gegen Jahresende wieder verpuffen. Gleichzeitig dürfte sich vor dem Hintergrund der konjunkturellen Abschwungstendenzen in den entwickelten Volkswirtschaften der chinesische Export abschwächen. Die chinesische Regierung könnte somit bald wieder unter Druck geraten, die Konjunktur zu stabilisieren. Ohne eine dauerhafte Belebung des chinesischen Konsums dürfte es daher unseres Erachtens nicht gehen.
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