Eigentlich sollte die EZB den Leitzins um 50 Basispunkte senken
EZB und Konjunkturentwicklung - Rückkehr zu historischen Mustern?
Von 1999 bis 2015 bestand eine bemerkenswerte Korrelation zwischen dem Geschäftsklima in der europäischen Industrie und der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB). Die geldpolitischen Entscheidungen der EZB ließen sich nahezu vollständig durch die Entwicklung der konjunkturellen Lage, insbesondere in der zyklischen Industrie, erklären. Mit einer strukturell zu niedrigen Inflation sowie der Umsetzung unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen – wie etwa dem massiven Anleihekaufprogramm und negativen Einlagenzinsen – verschwand 2015 dieser Zusammenhang.
Die Grafik zeigt jedoch einen erneuten Wendepunkt: Nach der Pandemie, als sich die wirtschaftliche Erholung abzeichnete, reagierte die EZB möglicherweise zu spät auf die sich verbessernde konjunkturelle Lage. Ihre expansive Geldpolitik – insbesondere das Festhalten an niedrigen Zinsen – könnte den Inflationsdruck in den Jahren 2021 und 2022 unnötig verstärkt haben. Seit 2022 haben sich Inflation und Zinsniveau wieder normalisiert. Diese Normalisierung eröffnet nun die Möglichkeit, dass sich die vormals enge Korrelation zwischen dem Geschäftsklima und der EZB-Geldpolitik wieder manifestiert.
Aktuelle Entwicklungen und Erwartungen
Derzeit zeigt sich eine deutliche Schwäche in der europäischen Industrie. Traditionell führte eine solche Abschwächung der industriellen Dynamik zu Leitzinssenkungen der EZB von etwa einem Prozentpunkt im Vergleich zum Vorjahr. In diesem Jahr hat die EZB ihre Leitzinsen bereits um 0,5 Prozentpunkte gesenkt. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Industrieschwäche preisen die Finanzmärkte bereits zwei weitere Zinssenkungen von jeweils 0,25 Prozentpunkten für die Sitzungen in der nächsten Woche und im Dezember ein.
Allerdings haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zuletzt spürbar verschlechtert. Und auch die Inflationsdynamik hat sich abgeschwächt, was auf eine nachlassende Preiskraft und gedämpfte Nachfrage hinweist. Diese Entwicklung könnte die EZB dazu veranlassen, einen größeren Zinsschritt von 0,5 Prozentpunkten in Betracht zu ziehen, um konjunkturelle Risiken zu begrenzen. Mit einer solchen Entscheidung würde die EZB der US-Notenbank Fed folgen, die im September ebenfalls einen größeren Zinsschritt vorgenommen hatte. Meiner Meinung nach wäre es sogar dem Umfeld angemessen und daher richtig, obwohl ich es leider nicht für sehr wahrscheinlich halte. Die Wahrscheinlichkeit für eine Zinssenkung von 0,25 Prozentpunkten liegt unserer Einschätzung nach bei 70 Prozent, während wir eine 30-prozentige Chance für einen Zinsschritt von 0,5 Prozentpunkten sehen. Dass es zu keiner Zinssenkung kommt, halten wir hingegen für unwahrscheinlich.
Wichtige Indikatoren vor der Entscheidung
Vor der nächsten EZB-Sitzung stehen noch zentrale Wirtschaftsindikatoren zur Veröffentlichung an. Am Dienstag werden sowohl die Ergebnisse der EZB-Kreditumfrage als auch der ZEW-Index publiziert. Beide Datenpunkte könnten wertvolle Hinweise darauf geben, wie stark die geldpolitische Lockerung ausfallen wird. Insbesondere die Kreditumfrage, die Aufschluss über das Verhalten der Banken im Hinblick auf die Kreditvergabe gibt, könnte entscheidend für die bevorstehenden geldpolitischen Maßnahmen sein.
Volatilität der US-Konjunktur sorgt für Unsicherheit an den Finanzmärkten
In den USA ist in diesem Jahr eine ungewöhnlich starke Schwankung der Konjunkturdaten zu beobachten. Während der Arbeitsmarkt zu Jahresbeginn noch deutliche Robustheit zeigte und damit die Erwartungen vieler Marktteilnehmer auf eine baldige Zinssenkung durch die Federal Reserve dämpfte, setzte ab der Jahresmitte eine anhaltende Schwächephase ein. Diese mündete im August in wachsenden Rezessionsängsten, die sich in den Finanzmärkten niederschlugen. Zu diesem Zeitpunkt schien es, als könnte die Wirtschaft in eine Abschwungphase eintreten.
Doch das Bild hat sich überraschend gewandelt. Aktuelle Konjunkturdaten, darunter der jüngste Arbeitsmarktbericht für September, weisen unerwartet starke Zahlen aus. Die Arbeitslosenquote bleibt niedrig, und die Zahl der neu geschaffenen Stellen übertraf die Prognosen deutlich. Diese Entwicklung steht aber im Widerspruch zu den bisherigen zyklischen Mustern, bei denen der Übergang von Wachstum zu Abschwung in der Regel gleichmäßiger verläuft. Die Volatilität der jüngsten Konjunkturdaten lässt sowohl Ökonomen als auch Finanzmarktakteure im Unklaren darüber, welchen Pfad die US-Wirtschaft in den kommenden Monaten einschlagen wird.
Es bleibt nicht ausgeschlossen, dass die erwarteten Zinssenkungen und der damit verbundene Rückgang der langfristigen Zinsen bereits jetzt eine stimulierende Wirkung auf die US-Wirtschaft entfaltet haben. Sollte dies der Fall sein, könnte die Wirtschaft wiederum schneller als erwartet in eine Phase der Erholung eintreten.
Entscheidend für die Beurteilung der weiteren Entwicklung werden somit die anstehenden Konjunkturindikatoren sein: Am Donnerstag werden die Einzelhandelsumsätze und die Industrieproduktion für September veröffentlicht, ebenso der NAHB-Hausmarktindex, der einen Einblick in die Stimmung im Bausektor gibt. Am Freitag folgen die Zahlen zu den Neubaubeginnen, die als wichtiger Frühindikator für die Bautätigkeit und damit für die Investitionsbereitschaft in den USA gelten. Diese Daten könnten die Richtung für die kommenden Monate vorzeichnen.
China: Anhaltende konjunkturelle Schwächephase
In China wird für das dritte Quartal ein stabiles Wirtschaftswachstum von 4,6 Prozent erwartet. Diese Prognose basiert jedoch auf der Annahme, dass die Industrieproduktion weiterhin mit einer Rate von 4,6 Prozent wächst und sich die Einzelhandelsumsätze, die im August noch um 2,1 Prozent stiegen, im September auf 2,6 Prozent beschleunigt haben. Doch die zugrunde liegenden Daten erfassen einen Zeitraum vor der Ankündigung eines umfassenden Konjunkturpakets. Es ist zu vermuten, dass sich die wirtschaftliche Lage im September weiter verschlechterte, was die Regierung schließlich unter Druck setzte, ein großes Stimulusprogramm zu verabschieden.
Die bisher ergriffenen Maßnahmen wurden von vielen Beobachtern als enttäuschend bewertet. Zwar wurde die Liquidität an den Finanzmärkten verbessert, die Kreditvergabemöglichkeiten der Banken wurden erweitert und es gab regulatorische Erleichterungen für den Erwerb von Immobilien, doch greifen diese Maßnahmen bislang nicht ausreichend. Die tieferliegenden Probleme Chinas sind vielschichtiger: Eine schwache Binnennachfrage, das gedämpfte Vertrauen in zukünftiges Wachstum, die Erwartung weiter fallender Immobilienpreise sowie der Fokus auf Schuldenabbau belasten das wirtschaftliche Klima. Die Krise am Immobilienmarkt ist nach wie vor in vollem Gange. In einem Land, in dem Immobilien traditionell einen Großteil des privaten Vermögens ausmachen, verstärkt dies die Zurückhaltung bei größeren Investitionen und Kaufentscheidungen.
Die Frage, ob die bisher ergriffenen Maßnahmen ausreichen, um den wirtschaftlichen Abschwung zu stoppen, bleibt offen. Es zeichnet sich ab, dass nur dann neue Impulse für die Konjunktur möglich sind, wenn tatsächlich frisches Geld direkt in die Realwirtschaft fließt. Die Regierung steht damit vor der Herausforderung, ihre Fiskal- und Geldpolitik neu zu justieren, um sowohl das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen als auch die strukturellen Schwächen der Wirtschaft langfristig anzugehen. Der Druck auf Peking wächst, da die Finanzmarktakteure zunehmend skeptisch werden und die schwache wirtschaftliche Dynamik auch global Auswirkungen haben könnte, insbesondere auf die Rohstoffmärkte und den Welthandel.
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